mercoledì 16 settembre 2015

Die Kritik an Descartes in Heideggers und Merleau-Pontys Hauptwerken

Das ist der Text einer Hausarbeit, die ich während meines Auslandsemesters geschrieben habe. Er enthält sprachichen Fehler.

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Obwohl, wie Merleau-Ponty erklärt hat, die Phänomenologie sich eher als Stil als philosophische Lehre beschreiben lässt[1], charakterisiert ein Merkmal alle die Autoren dieser »Bewegung«, und zwar die Kritik an Descartes, insofern die Phänomenologie durch die Ablehnung des zugrundliegenden Dualismus der Descartischen Philosophie entsteht. Eine starke und explizite Kritik befindet sich in zwei der Hauptwerken der frühen Phänomenologie: Heideggers Sein und Zeit und Merleau-Pontys Phänomenologie der Wahrnehmung. Auf sie möchte ich im Folgenden eingehen.


Die vermeintliche Voraussetzungslosigkeit des Ausgangpunktes


Am Anfang der ersten Meditation erklärt Descartes, dass seine Methode darin besteht, dass er alles, was bezweifelt werden kann, ablehnt und nur das, was gewiss und klar ist, annimmt. Seine Philosophie wäre also voraussetzungslos. Die einzige gewisse Wahrheit wäre die Existenz des denkenden Seins: insofern ich all bezweifeln kann, bleibt nur die Gewissheit, dass ich bezweifle (also denke) übrig; aber wenn ich denke, dann existiere ich, sonst gäbe es überhaupt kein Denken. Wenn jemand dagegen sagte, dass die unmittelbare Klarheit in der sensiblen Wahrnehmung bestehe, sollte man darüber hinaus berücksichtigen, dass jede sensible Qualität eines Dings verschwinden kann (weil das Etwas der Wahrnehmung das sich Verändernde ist), und dass das, was übrig bleibt, nur die Idee dieses Dings ist (Med. II). Die Idee ist als Objekt des Denkens klar, weil insofern ich an etwas denke, kann das Objekt meines Denkens nicht verleugnet werden, sonst würde ich es nicht denken. Der gedachte Gegenstand ist demgegenüber in seiner wirkliche äußere Existenz nicht schlichthin gewiss. In diesem Hinsicht wäre die Idee einer Ziege gleich die Idee einer Chimäre (Med. III) und es sollte noch bezweifelt werden, dass es überhaupt etwas außer das Gewissen gibt.
Heidegger und Merleau-Ponty zeigen, wie das Verfahren dieser Meditationen die echte Natur der Wahrnehmung übersieht, und warum es sie übersehen soll. Das hängt nämlich davon ab, dass Descartes eine bestimmte Ontologie stillschweigend voraussitzt, die unter sich eine säkulare Tradition schon hat.
Descartes unterscheidet zwischen dem denkenden Sein und dem gedachten Sein und nennt das erste res cogitans und das zweite res extensa[2]. Die sind beide  an sich selbst seienden Sein; sie können nach Descartes unmittelbar verstanden werden; sie machen die erste vorhandene Klarheit aus, einmal als Subjekt, einmal als Objekt des Denkens. Das an sich selbst seienden Sein nennt man die metaphysische Tradition zufolge substantia. Wie Heidegger es hervorhebt, »substantia« bedeutet sowohl »das Sein eines als Substanz Seiendes, Substanzialität«, als auch »das Seiende selbst, eine Substanz« (SuZ: §19).
In Bezug zum res extensa, die Substanz ist sowohl die Extension, als auch ein bestimmtes körperliches Seiende. Wie ist die Extension als solche fassbar? Erst in ihren Attributen werden die Substanzen zugänglich, und jede Substanz hat eine ausgezeichnete Eigenschaft, an der die Substanzialität ablesbar wird. Eine solche Eigenschaft ist das, was durch die Veränderung bleibt, und spricht also das Wesen eines Seiendes aus. Die sich veränderten Qualitäten können von dem Seienden weggenommen werden, das Seiende bleibt doch, was es ist. Die wesentliche Eigenschaft ist dagegen jene, ohne die das Seiende nicht mehr denkbar wäre.
Nun hat eine res corporea verschiedene Qualitäten, wie zum Beispiel Geruch, Härte, Gewicht, Farbe, Länge, Breite, Tiefe. Indem sie sich verändern, bleibt aber das Seiende, was es ist. Was erlaubt es zu bleiben ist nur seine Körperlichkeit, sein Ausgedehnt-sein[3]. Wenn es keine extensio hätte, würde es nicht sein. Alle die anderen Qualitäten gehören zum ausgedehnten Seienden, das capax mutationum ist und sich in all die Veränderungen durchhält, remanet[4].
Es könnte gefragt werden, warum ist die Ausdehnung wesentlich und nicht zum Beispiel das Gewicht? Soll das körperliche Seiende nicht sowohl ein Gewicht haben, als auch eine Ausdehnung? Descartes würde antworten, dass das Gewicht nur durch die Sinne erfahren werden kann, während die Ausdehnung zur Idee eines körperlichen Seienden gehört. Wenn man das Gewicht für wesentlich halten würde, würde man die äußere Existenz der Körperlichkeit voraussitzen. Nur die in der äußeren Wirklichkeit existierenden Körper haben ein Gewicht; die Idee als solche hat keines. Demgegenüber, wenn man an einen Körper denkt, denkt man unbedingt zugleich an eine Ausdehnung.
Doch bleibt der Begriff der Substanz unerklärt. Was in seinem Sein schlechthin keines andere Sein bedürftig ist, ist nur Gott. Descartes zufolge gibt es dann drei Substanzen: Gott, die Substanz im eigenen Sinn, die res cogitans und die res extensa, geschaffenen Seienden. Was heißt, dass ihnen das Prädikat des Seins zugeschrieben werden kann? Gott ist nicht im selben Sinn, dass ich und meine Kerze sind. Heidegger wirft Descartes vor, dass er die ontologische Frage nach der Substanz überhaupt ausgewichen hat, weil er den Sinn des Seins für selbstverständlich gehalten hat (SuZ: §20).
Außerdem hat Descartes ausdrücklich gesagt, das Sein (also die Substanz) sei nicht vernehmbar, weil uns nur die Attributen affizierten. Nur durch die Bestimmtheiten eines Seiendes wäre das Sein zugänglich. Damit »fungiert der Ausdruck substantia bald in ontologischer, bald in ontischer, zumeist aber in verschwimmender ontisch-ontologischer Bedeutung« (ebd.). Wie eine Randbemerkung  des Handexemplars von Sein und Zeit erklärt, verbirgt sich hinter dieses Problem die unverstandene ontologische Differenz, also der übergesehene Unterschied zwischen esse und ens, Sein und Seiendes.
Aufgrund seiner ontologischen Voraussetzungen schreibt Descartes die Sensibilität keine Rolle in der Kenntnis zu. Der einzige Zugang zu der res extensa ist den Verstand: »nam cum mihi nunc notum sit ipsamet corpora non proprie a sensibus, vel ab imaginandi facultate, sed a solo intellectu percipi« (Med. II). Die Qualitäten, die der Verstand erkennt, sind aber die mathematisch-physischen; Sein ist also nur das, was durch die Mathematik erkennt werden kann. Wie Heidegger kommentiert, »auf dem Grunde einer in ihrem Ursprung unenthüllten, in ihrem Recht unausgewiesen Seinsidee (Sein = ständige Vorhandenheit) schreibt er der Welt gleichsam ihr „eigentliches“ Sein vor« (SuZ: §21). Descartes hat nicht wirklich untergesucht, wie das innerweltliche Seiende zugänglich ist. Seine Methode ist die Folge der »ungebrochenen Vorherrschaft der traditionellen Ontologie« (ebd.).
Eine ähnliche Kritik formuliert Merleau-Ponty, wenn er, in Bezug auf das Beispiel des Wachs (Med. II), schreibt, dass es »ne définit que la cire du physicien. […] c'est la science qui suppose là quelque matière qui se conserve« (PhP: 41).


Die missverstandene Natur der Sinnlichkeit


Descartes hat »die Verengung der Frage nach der Welt auf die nach der Naturdinglichkeit als dem zunächst zugänglichen, innerweltlichen Seienden verschärft« (SuZ: §21). Indem er die wissenschaftliche Erkenntnis privilegiert hat, übersieht er die echte Relation zwischen das kennende Dasein und seine Welt. Zunächst zugänglich ist nämlich nicht die Naturdinglichkeit der Seienden, sondern ihre »Zuhandenheit«. Der Umgang des Subjekts mit den innerweltichen Seienden ist zunächst nicht das vernehmende Erkennen, »sondern das hantierende, gebrauchende Besorgen, das seine eigene „Erkenntnis“ hat« (SuZ, §15). Die im Besorgen begegnende Seienden sind als Zeug, nämlich als »etwas, um zu…«, anerkennt, sodass vor einem bestimmten Zeug, schon eine sinnvolle »Zeugganzheit« entdeckt ist (ebd.). Die Welt ist also wesentlich keinen fremden messbaren Gegenstand, sondern unsere Welt, die wir bewohnen. Das konnte Descartes aber nicht anerkennen, weil seine ontologische Perspektive es ausschließt.
Descartes beschreibt zum Beispiel die Härte eines Dings mit rein physischen Begriffen. Hart ist etwas, das widersteht, das sich nicht bewegt oder seine Geschwindigkeit nicht wechselt, wenn es von etwas anders betroffen wird. Das Subjekt (besser gesagt: sein Hand), das die Härte erfährt, wird, wie der Gegenstand, als res extensa betrachtet. Die physische Erklärung ist aber unangemessen, um die konkrete Härteerfahrung zu erfassen. Die Härte kann erst  im Umgang des Daseins mit einem Zeug erfahren werden. Solcher Umgang ist übergesehen, indem das Vernehmen »zu einem bestimmten Nebeneinander-vorhandensein zweier vorhandener res extensae« wird (SuZ, §21).
Die Vorhandenheit ist das Gegenteil von der Zuhandenheit; die erste charakterisiert einen Gegenstand als bloßes Objekt einer wissenschaftliche Anschauung, während die zweite einen – so zu sagen – Gegenstand-für-uns, also einen sinnvollen Teil unserer Welt. Die Gegenstände im ersten Sinne können nur nebeneinander sein, denn alle ihre Verhältnisse bleiben äußerlich, können gemessen werden und von einem Gesetz ausgedrückt werden. Im zweiten Sinne verweisen die Gegenstände aufeinander und machen ein sinnvolles Ganze aus, sie sind anthropologisch geprägt und fallen unter kein Gesetz. Das Übersehen von der Seinsart der Zuhandenheit schießt die Möglichkeit aus, sowohl das Sein des im Vernehmen begegnenden Seienden, als auch das Sein des vernehmenden Daseins zu erfassen.
Merleau-Ponty erklärt darüber hinaus, dass die wissenschaftliche Anschauung als Wesen der Wahrnehmung nicht betrachtet werden kann. Wenn man von allen sinnlichen Qualitäten eines Dings abstrahiert, gibt es kein Objekt der Wahrnehmung mehr. Dass eine Materie sich da noch immer aufbewahrt, ist einen Annahme der Wissenschaft (vgl. PhP: 41).
Descartes versucht mit einem anderen Beispiel zu demonstrieren, dass die Wahrnehmung der Sinnlichkeit nicht entspricht. Wenn wir von einem Fester einen Menschen auf der Straße sehen, sehen wir tatsächlich nur seinen Hut und seinen Mantel, wir nehmen aber einen Mensch wahr. Deswegen könnte die Wahrnehmung erst durch die Fähigkeit des Urteils erklärt werden: ich sehe keinen Menschen, ich beurteile, es gibt einen Menschen. Aber das Urteil kann nicht die Natur der Wahrnehmung erklären, weil es über sie hinausgeht. Es ist die Auslegung der sinnlichen Erfahrung, die durchaus falsch sein kann. Wenn man das wahrnimmt, was man beurteilt, wie könnte die wahrhafte von der falschen Wahrnehmung unterschieden werden? Dazu muss man sich auf die Sinnlichkeit stützen. Das Urteil als solche kann nicht von einer grundlosen Vorstellung unterschieden werden. Außerdem, was motiviert das Urteil, wenn nicht die Struktur selbst der sinnlichen Angaben (vgl. PhP: 431)?
Wie Merleau-Ponty schreibt, »la différence [zwischen Wahrheit und Fehler] n'est pas dans la forme du jugement mais dans le texte sensibile qu'il met en form […] percevoir dans le plein sens du mot, qui l'oppos à imaginer […] c'est saisir un sens immanent au sensible avant tout jugement« (PhP: 41).
Die Idee kann nie der sinnlichen Wahrnehmung vorgehen. Der Sinn eines Dings wird nicht von der Reflexion dem Ding zugeschrieben, das Ding selbst lässt sich durch seinen Sinn erkennen (vgl. PhP: 53). »Descartes läßt sich nicht die Seinsart des innerweltichen Seienden von diesem vorgeben« (SuZ: §21).
Der Hut und der Mantel sind als Hut und Mantel wahrgenommen und nicht als physische Gegenstände mit bestimmten objektiven Qualitäten. Dass sie Hut und Mantel sind, ist ihren Sinn, das das Urteil »dort läuft ein Mensch« begründet, weil den Hut und den Mantel nur für einen Mensch Hut und Mantel sind. Natürlich kann auch die sinnliche Wahrnehmung falsch sein, ich kann zum Beispiel bei Annährung erkennen, dass dort ein Robot statt eines Menschen läuft. Was mir aber zu sagen erlaubt, dass meine Wahrnehmung falsch war, ist eine andere sinnliche Wahrnehmung. Falsch war nicht ein zusätzliches Urteil, ich hatte bewusst einen Menschen gesehen und jetzt sehe ich bewusst einen Robot (vgl. PhP: 343-44).
Ein anderes Merkmal der Wahrnehmung, das Descartes nicht anerkennt, ist, dass die Wahrnehmung immer die eines endlichen Daseins ist, dass sie nie eine vollständige Erfassung des Objekts erreichen kann. Wenn man zum Beispiel einen Kubus sieht, sieht man ihn von einer besonderen Position im Raum, also von einer Perspektive. Man kann die sechsen Seiten gleichzeitig weder sehen noch denken. Der Kubus – so Merleau-Ponty – »se dévoil« (PhP: 237), enthüllt sich und lässt sich als Kubus anerkennen, wenn ich die Seiten hintereinander wahrnehme. Auch die geometrische Idee des Kubus kann nur von einer bestimmten Perspektive dargestellt werden, also schützen sich auch die abstrakten Idee auf eine endliche Darstellung.
Die Endlichkeit des wahrnehmenden Subjekts macht die Bedeutung des Wortes »Wahr-nehmung« selbst aus. Merleau-Ponty verwendet das deutsche Wort, um zu erklären, dass »percevoir, c'est engager d'un seul coup un avenir d'expériences dans un présent qui ne le garantit jamais à la rigueur, c'est croire à un monde« (PhP: 344). Wahr-nehmen heißt also etwas für wahr halten; vertrauen, dass etwas wahr ist, ohne eine letzte Bestätigung erhalten zu können.
Die Descartische Philosophie übersieht das konkrete Subjekt des Denkens. Dennoch »l'Ego méditant ne peut jamais supprimer son inhérence à un sujet individuel, qui connaît toutes choses dans une perspective particulière« (PhP: 74). Die Phänomenologie nimmt sich vor, den Übergang von dem konkreten Subjekt zu dem abstrakten reflektierenden Subjekt der wissenschaftlichen Anschauung und somit die unterschiedliche Arten der mögliche Erkenntnis zu erklären. Das Ziel ist natürlich nicht, die wissenschaftliche Erkenntnis herabzusetzen, sondern zu verstehen, dass das Seiende zunächst nicht als eine Summe von messbaren Qualitäten zugänglich ist, sondern als sinnvollen Teil einer Welt, von der das Dasein selbst einen Teil ist.


Das In-der-Welt-sein als Überwindung des Descartischen Dualismus


Indem das cogito von der Erfahrung, die Reflexion von dem Unreflektierten abstrahiert, ist die Descartische Subjektivität »une subjectivité invulnérable, en deça de l'être et du temps« (PhP: IV). Der Geist ist »un être tout présent à lui-même sans distance« (PhP: 231) und steht dem Körper gegenüber. Beide res sind vollständig und voneinander unabhängig. Res extensa ist aber vor allem der Leib des Daseins; wenn er dann ein unabhängiges Wesen ist, wie kann mein Bewusstsein ihm zugehen? Und wie habe ich gedacht können, ich hatte durch die Sinne ein Objekt wahrgenommen, wenn ich tatsächlich dank einer geistlichen Inspektion wahrnehmen würde? Und warum enthüllt sich die Welt nie ganz klar vor meiner Wahrnehmung? (vgl. PhP: 241).
Descartes unterscheidet beispielsweise zwischen dem Sehen und dem Gedanke des Sehens, indem er sagt, dass das Denken nie bezweifelt werden kann (das Zweifeln selbst ist nämlich eine Form des Denkens), während das Gesehene die Bezweiflung bedarf, bis es überprüft wird. Ich könnte dann sagen: ich bin nicht sicher, dass dort einen Menschen läuft, bin aber sicher, dass ich dort einen Menschen zu sehen denke. Zwar könnte, wie gesagt, mein Sehen etwas Falsches dargestellt haben; aber bisher ich etwas anders nicht sehe, kann ich nicht denken, dass ich etwas anders gesehen können habe. Wenn ich meine sinnliche Wahrnehmung bezweifle, ist es eben deshalb, weil sie nicht ganz klar ist. Wenn ich nicht sicher bin, ich habe einen Menschen gesehen, habe ich keinen Menschen gesehen, sondern nur einen schwarzen Schatten (vgl. PhP: 429). Wie Merleau-Ponty es zusammenfasst:
C'est donc de deux choses l'une: ou bien je n'ai aucune certidute concernant les choses mêmes, mais alors je ne peux pas davantage être certain de ma propre perception, prise comme simple pensée, puisque, même ainsi, elle enveloppe l'affirmation d'une chose; ou bien je saisis avec certitude ma pensée, mais cela suppose que j'assume du même coup les existences qu'elle vise. Quand Descartes nous dit que l'existence des choses visibiles est douteuse, mais que notre vision, considerée comme simple pensée de voir, ne l'est pas, cette position n'est pas tenable. (PhP: 430)
Das erklärt ebenso die Natur der Illusion, des Mythos, des Traumes. Wenn eine illusorische Wahrnehmung sich als zweifelhaft anerkennen ließe, wäre sie keine Illusion, denn ich wüsste, ich könnte sie nicht vertrauen. Die Natur der Illusion ist eben das, dass sie sich als Wahrheit vorstellt. Der Fehler kann also nicht darin bestehen, wie die vierte Meditation sagt, dass ich durch mein Urteil meine Zustimmung einer unklaren Idee zugestehe (vgl. PhP: 340-41).
Das zeigt, dass das Subjekt von seinem Leib getrennt nicht gedacht werden kann, weil der Leib eben das ist, was den Geist in die Welt mitbringt. Ohne den Leib zu denken, kann man nicht erklären, wie die geistliche Erfahrung der Welt überhaupt möglich ist. Aber genau deswegen, eine geistliche Erfahrung kann wiederum nicht von einer körperliche unterschieden werden. Geist und Leib, Denken und Sinnlichkeit, bilden also eine Einheit. Solche Einheit heißt Dasein.
Dies ist keinen versehentlichen Rutsch auf die Terminologie Heideggers. Zwar verwendet Merleau-Ponty das Wort »Dasein« nicht direkt, er zitiert aber ein paar Passagen von Sein und Zeit und zeigt dadurch (wenn es nötig wäre), dass seine Ausdeutung der Existenz viel mit der von Heidegger gemeinsam hat. In der Tat tritt einen anderen für Heidegger wichtigen Begriff auch im Merleau-Pontys Hauptwerk auf, und zwar den der »Welt«, als unvernachlässige Dimension der Existenz eines Subjekts. Indem die phänomenologische Anschauung verhindert, das Subjekt und die Welt als unabhängige Substanzen zu berücksichtigen, kann es nichts anders als Dasein sein, also ein Sein, das immer schon in der Welt geworfen ist. Heidegger hat die Begriffen »In-der-Welt-sein« und »Geworfenheit« (unter anderen) geprägt, um den existenziellen Zustand des Daseins auszusprechen. Ihnen entspricht zum Beispiel die Behauptung von Merleau-Ponty, der zufolge das Ich ein »sujet voué au monde« (PhP: V) ist.
Wie Heidegger selbst erklärt, »der zusammengesetzte Ausdruck „In-der-Welt-sein“ zeigt schon in seiner Prägung an, daß mit ihm ein einheitliches Phänomen gemeint ist« (SuZ: §12). Das heißt, das Sein des Daseins schließt unmittelbar seine Welt ein. Das In-Sein bedeutet nicht sein in, als äußerliche Bestimmung eines Gegenstandes, wie beispielsweise ist »die Bank im Hörsaal, der Hörsaal in der Universität, die Universität in der Stadt usw. bis zu: Die Bank ist „im Weltraum“«. Das In-Sein des Daseins ist dagegen »ein Existenzial«, also eine ontologische Bestimmung der Existenz, die wiederum die Seinsart des Daseins ist.
Das In-Sein meint so wenig ein räumliches »Ineinander« Vorhandener, als »in« ursprünglich gar nicht eine räumliche Beziehung der genannten Art bedeutet; »in« stammt von innan-, wohnen, habitare, sich aufhalten; »an« bedeutet: ich bin gewohnt, vertraut mit, ich pflege etwas […]. Dieses Seiende, dem das In-Sein in dieser Bedeutung zugehört, kennenzeichneten wir als das Seiende, das ich je selbst bin. Der Ausdruck »bin« hängt zusammen mit »bei«; »ich bin« besagt wiederum: ich wohne, halte mich auf bei…der Welt, als dem so und so Vertrauten. Sein als Infinitiv des »ich bin«, d. h. als Existenzial verstanden, bedeutet wohnen bei…, vertraut sein mit… In-Sein ist demnach der formale existenziale Ausdruck des Seins des Daseins, das die wesenhafte Verfassung des In-der-Welt-seins hat (a. a. O.).
Die innerweltichen Seienden sind ebenso in der Welt, aber nur in der Welt des Daseins und für das Dasein, also nicht im gleichen Sinne[5]. Eigentlich soll man sagen, sie sind »an ihnen selbst weltlos«; sie existieren nicht im gleichen Sinne, in dem gesagt werden kann, dass das Dasein existiert[6]. Man könnte es so ausdrücken: das Dasein (und nur das Dasein) ist ein in-der-Welt-Sein, während das innerweltliche Seiende inwendig der Welt ist.
Die Vorhandenheit der Welt und der innerweltlichen Seienden (damit des Daseins selbst, wenn es zum Beispiel als Objekt eine Untersuchung betrachtet wird) ist ein hergerührtes Verhältnis, das sich nur aufgrund der Ursprünglichkeit des In-der-Welt-seins[7] ergeben kann. »Damit Erkennen als betrachtendes Bestimmen des Vorhandenes möglich sei, bedarf es vorgängig einer Defizienz des besorgenden Zu-tun-habens mit der Welt« (SuZ: §13). Es handelt sich um einen »Sichenthalten«, was das Interesse für den unmittelbaren Sinn der Welt einstellt. Der bekannte Spruch »primum vivere, deinde philosophari« spricht irgendwie in seiner Einfachheit das aus, was hier gemeint ist. Das Interesse für die Welt ist eigentlich lebenswichtig und erst dann, wenn die Bedürfnisse erfüllt sind, kann die wissenschaftliche Anschauung entstehen.
Auch Merleau-Ponty beschreibt die Innerweltlichkeit des Daseins als ein Wohnen: »Il ne faut [...] pas dire que notre corps et dans l'espace ni d'ailleurs qu'il est dans le temps. Il habite l'espace et le temps« (PhP: 162). Wenn man sein Hand in Richtung eines Gegenstandes bewegt, um ihn zu ergreifen, sitz man keine Vorstellung dieses Gegenstandes vor; wie Heidegger es ausdrücken würde, das Gegenstand wird nicht als vorhanden betrachtet. Das Gegenstand ist dagegen einfach das, auf dem man sich projiziert, was zuhanden ist, bei dem man schon immer ist[8]. »La conscience est l'être à la chose par l'intermédiaire du corps« (PhP: 161).
Die Bewegung ist verkörpert, sie gehört die Welt des Daseins, das daran gewohnt ist[9]. Es bedarf keine Vorstellung. Das erlaubt die Möglichkeit der Erwerbung eine Gewohnheit zu erklären, was »offre de grandes difficultés aux philosophie classiques« (PhP: 166). Die Welt – die Zeiträumlichkeit – zu wohnen heißt dann daran gewohnt, damit vertraut, zu sein.
Merleau-Ponty bestätigt auch, dass die wissenschaftliche Anschauung hergerührt ist. Eine sensible Qualität tauch nämlich erst auf, wenn man sich den gewöhnlichen Umgang mit der Welt[10] enthält. Im Beispiel des Sehens kann man sagen, dass die Qualität dadurch auftaucht, dass ich meinen Blick auf eine Einzelheit konzentriere. Damit wird aber der Sinn des Dings verloren. Wenn ich mich zum Beispiel auf die Farbe einer Einzelheit eines Bildes konzentriere, ist das, was ich sehe, eine bloße Farbe, und nicht mehr die Farbe des Gemäldes, ebensowenig die Farbe eines dargestellten Gegenstandes, wie eine Wiese in einer sonnigen Landschaft (vgl. PhP: 262).
Aufgrund des In-der-Welt-seins des Daseins kann die Ontologie nie die Welt verstehen, ohne gleichzeitig das Dasein zu berücksichtigen. Außer den Blick des Daseins existiert für uns keine Welt. Die Frage nach das Aussehen einer Welt ohne Menschen ist sinnlos, weil sie nur von einem Menschen gestellt werden kann. Merleau-Ponty zitiert Berkeley, der sagte, dass auch eine unberührte Wüste zumindest einen Zuschauer hat, und zwar denjenigen, den an sie denkt (PhP: 370). »La chose ne peut jamais être séparée de quelqu'un qui la perçoive« (ebd.). Man könnte dagegen sagen, dass es eine Welt gab, bevor die Menschheit existierte. Aber ebenso da setzen wir unsere vorwissenschaftliche Kenntnis vor; wir reden darüber, sodass diese vormenschliche Welt ohne das jetzige Dasein nicht verstanden werden kann (vgl. PhP: 494).
Wie Heidegger sagt, »Wahrheit „gibt es“ nur, sofern und solange Dasein ist« (SuZ: §44c). Er nimmt die Gesetze Newtons als Beispiel und sagt, bevor sie entdeckt wurden, waren sie nicht wahr, was nicht bedeutet, das Seiende, das sie entdeckend aufzeigen, sei vordem nicht gewesen. Das heißt eher, das aufgezogene Seiende war vorher für das Dasein nicht zugänglich. »Mit der Entdecktheit des Seienden zeigt sich dieses gerade als das Seiende, das vordem schon war. So zu entdecken, ist die Seinsart der „Wahrheit“« (a. a. O.).
Umgekehrt, kann das Dasein ohne Welt nicht verstanden werden, weil es immer schon da ist. Es transzendiert sich selbst in der Welt. Das Fehlen einer solchen Transzendenz ist der Zustand eines psychisch Kranken, für den nichts mehr passiert, nichts mehr Sinn macht. Aber eben im diesen Zustand, insofern er einem Dasein gehört, »l'existence corporelle ne repose jamais en elle-même, elle est toujours travaillée par un néant actif, elle me fait continuellement la proposition de vivre« (PhP: 193). Im diesen Sinne »Je ne deviens jamais tout à fait une chose dans le monde« (PhP: 192).
Dass das Dasein sich nie als Gegenstand betrachten werden lässt, bedeutet auch, dass die Funktionen des Leibes – wie das Sehen, die Beweglichkeit, die Sexualität usw. – nicht als trennbaren Prozessen zu verstehen sind. Sie verschwimmen ineinander und machen ein einziges »Drama« aus, eine verworrene Einheit, die sich nie durchaus verstehen lässt. Der Leib ist gleichzeitig Sexualität und Freiheit, von der Natur geprägt und sich durch die Kultur und Bildung verändernde, nie definitiv in sich geschlossen, und nie definitiv überholt (PhP: 231). Und dies ist eben deshalb, weil er in-der-Welt ist.


Das Problem der Intersubjektivität


Der Weltbegriff schließt das Problem der Intersubjektivität ein.  Zum Schluss möchte ich kurz darauf deuten. Descartes hat nicht nur das Thema der Intersubjektivität übergesehen, sondern die philosophische Erklärung solches Phänomen unmöglich gemacht. Denn es gäbe nur zwei (unvereinbare) Seinsarten: das In-sich-Sein der res extensa und das Für-sich-Sein der res cogitans. Nun wäre das Andere für mich einen Gegenstand der Welt, eine res extensa also; dennoch existierte es gleichzeitig für-sich, als res cogitans. Um es zu verstehen, sollte ich es von mir unterscheiden, also als res extensa betrachten, und zugleich es als Geist denken, und zwar als das, was ich nur durch meine Reflexion auf mich selbst verstehen könnte. Außerdem, wenn mein cogito die Welt durchaus erfassen könnte, wäre das Denken des Anderes undenkbar, außer es das denken würde, was ich schon denke. Das Denken überhaupt könnte keinen Unterschied enthalten, es wäre also das unendliche perfekte Denken Gottes[11].
Aber die tatsächliche Erfahrung des Daseins ist aufgrund seines endlichen Leibes auf ein »champ phénoménal« (PhP: 64 ff.) beschränkt. Wie im schon genannten Anblick eines Kubus, die Blicke ineinander verschwimmen und dadurch den ganzen Kubus ausmachen, kann ebenso meine beschränkte Anschauung in der Anschauung anderer Dasein verschwimmen und dadurch die Welt ausmachen. Das ist natürlich nur eine Möglichkeit, die eine Offenheit zum Dialog voraussitzt. Man kann ebenso auf seine eigene Anschauung bestehen, oder die allgemein verbreitete Anschauung des unpersönlichen »Man« annehmen[12]. Fest steht, dass jedes Dasein ohne solchen Dialog in seiner Beschränktheit stecken bleibt, ohne darüber hinausgehen zu können.
Dass der Sinn der Welt von den Anderen, als vom Mitsein[13], abhängig ist, beweist auch die Struktur der Vorhandenheit der innerweltlichen Seienden. Die zuhandenen Zeuge »begegnen aus der Welt her, in der sie für die Anderen zuhanden sind, welche Welt im vorhinein auch schon immer die meine ist« (SuZ: §26). Außerdem nehmen die Gegenstände eine neue Bedeutung an, indem ein Anderes sich auf sie wendet. Sie sind nicht mehr das, was ich mit ihnen machen könnte, sondern das, was das Andere mit ihnen machen wird (vgl. PhP: 406). Das Mitsein gehört wesentlich zum In-sein. In-der-Welt-sein heißt gleichzeitig Mitdasein. »Die Welt des Daseins ist Mitwelt« (a. a. O.).
Meine Welt ist zugleich die Welt Anderer, die sich durch die Erfahrung der Zuhandenheit und der Mitteilung verstehen lassen. Aber so sehr ich im Anderen einfühle, »c'est du fond de sa subjectivité que chacun projette ce monde „unique“« (PhP: 409). Man kann nie wirklich mitfühlen, mitsehen, mitverstehen und so weiter; jede Perspektive bleibt im Grunde unzugänglich. Die Gewissen stehen also im Paradox von »un solipsisme à plusieurs« (PhP: 412). Das Paradox ist trotzdem nicht einen Widerspruch der Argumentation, es gehört der Existenz selbst, es ist eine erlebte Situation. Einsamkeit und Mitteilung sind eigentlich zwei Momente desselben Phänomen. Es ist nur durch die Erfahrung der Beschränktheit der Mitteilung, dass ich die Einsamkeit erfahre, und umgekehrt nur durch das Gefühl der Einsamkeit, bedürfe ich die Mitteilung (vgl. PhP: 412-13).
Der Solipsismus ist außerdem, in seine Wahrheit, meine Freiheit. Keine Erfahrung kann die Allgemeinheit meines Seins erfüllen und ich bin immer frei, mich im Abstand zu stellen und darüber hinauszugehen (vgl. PhP: 413). Ich kann mich immer von dem Blick des Anderen, von der mir zugewiesenen Rolle, von dem Zustand meiner Gesellschaftsklasse und so fort entziehen.
Notre liberté ne détruit pas notre situation, mais s'engrène sur elle: notre situation, tant que nous vivons, est ouverte, ce qui implique à la fois qu'elle appelle des modes de résolution privilégiés et qu'elle est par elle-même impuissante à ne procurer aucun. (PhP: 505)
Sich im Abstand zu stellen heißt bei Heidegger – obwohl seine Deutung der Freiheit nicht gleich der von Merleau-Ponty ist – »Entschlossenheit«. Das Dasein versteht sich als Sein-zum-Tode und dadurch entscheidet sich für eine eigentliche Existenz, im Abstand von dem unpersönlichen Man. Das Dasein nimmt sich von der Anonymität zurück und haltet sich für seine mögliche und je faktisch notwendige Zurücknahme frei (SuZ: §62).
Die phänomenologische Anschauung ermöglicht die faktische Existenz zu denken, im Gegensatz zur objektiven Philosophie der Descartischen Tradition. Das Ziel Descartes war eher eine wissenschaftliche Methode zu begründen; es kann nicht ihm vorgeworfen werden, die Existenz, als wir sie jetzt verstehen, nicht gedacht zu haben. Die Geschichte der Philosophie bedurfte aber einen neuen Ausgangpunkt, um endlich die menschliche Komplexität denken zu können.


Literaturverzeichnis



Med. = Descartes, René, Meditationes de prima philosophia / Meditazioni metafisiche, hrsg. v. Sergio Landucci, Laterza, Roma-Bari 1997.

SuZ = Heidegger, Martin, Sein und Zeit, Max Niemeyer Verlag, Tübingen 200619.

PhP = Merleau-Ponty, Maurice, Phénoménologie de la perception, Gallimard, Paris 1945.





[1] Vgl. PhP: II: »la phénoménologie se laisse pratiquer et reconnaître comme manière ou comme style, elle existe comme mouvement, avant d'être parvenue à une entière conscience philosophique« (PhP = Phénoménologie de la perception, s. das Literaturverzeichnis).
[2] Vgl. Med. II: »Sed quid igitur sum? Res cogitans«; »Quid est autem hoc praecise quod sic imaginor? … nempe nihil alius quam extensum quid, flexibile, mutabile«.
[3] Heidegger übersetzt extensio mit »Ausdehnung« und ich werde von nun an dieses Wort verwenden. Ich wollte aber hervorheben, dass die Ausdehnung nicht eine bestimmte Ausdehnung ist, weil, wie gesagt, die Länge, Breite und Tiefe zu den Qualitäten gehören, die unwesentlich sind. Wesentlich ist für die res corporea nur irgendeine Ausdehnung zu haben, und nicht diese.
[4] Diese lateinischen Wörter sind von Heidegger aus Descartes´ Principia philosophiae (1644) zitiert.
[5] Um genau zu sein, ist das Dasein selbst ein innerweltiches Seiende; um es etwas einfacher klar machen zu können, unterscheide aber ich zwischen dem Dasein und den Seienden, die es »innerhalb seiner eigenen Welt begegnet« (a. a. O.), und nenne nur die letzten »innerweltichen Seienden«.
[6] In späteren Werken verwendet Heidegger die Schreibung Ek-sistenz, um die Existenz des Daseins zu bezeichnen. Das hängt mit der besonderen Bedeutung des Worts »Dasein« selbst zusammen, das bei Heidegger nicht schlechthin existentia heißt, sondern das besondere Seinsart des Menschen.
[7] Solche Ursprünglichkeit nennt Heidegger auch »Schon-sein-bei-der-Welt« (SuZ: §13); das Dasein ist immer schon in-der-Welt.
[8] »cette chose […] auprès de laquelle nous sommes par anticipation« (PhP: 161). Diese Behauptung entspricht das Heideggers »Schon-bei-der-Welt-sein« (s. 7. Anmerkung).
[9] Diese Bedeutung ist auch in der oben zitierten Passage von Heidegger hervorgehoben.
[10] »le commerce naturel […] avec le monde« (PhP: 262).
[11] Diese Argumentationen befinden sich in PhP: 401-402, 405, 426-27.
[12] vgl. dazu SuZ: §27, 35-38.
[13] Heidegger verwendet sowohl »Mitsein«, als auch »Mitdasein«, das heißt, das Dasein ist mit anderen Dasein zusammen. Das ist ein Existenzial, also eine ontologische Bestimmung des Daseins (vgl. SuZ: §26).

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