Dies ist der Text einer Hausarbeit, die ich während meines Auslandsemesters geschrieben habe.
Die Ableitung der Logik bis zum Unendlichen
In dieser
Arbeit möchte ich auf den Begriff des Unendlichen
eingehen, den »Grundbegriff der Philosophie« (E: §95)[1], wie ihn in der Lehre vom
Sein der »Wissenschaft der Logik« von Hegel dargestellt wird. Die Unendlichkeit tritt erst am Ende des
zweiten Kapitels auf, es ist aber notwendig, sich einen Überblick über die
vorhergehenden Kategorien zu verschaffen, insofern die ganze Logik Hegels sich
nur als eine kontinuierliche Ableitung verstehen lässt.
Die Logik
fängt mit den leeren Kategorien des reinen Seins und Nichts an, deren Aufhebung
zum Werden führt. Dies hebt sich wiederum im Dasein auf. Das reine Werden
verschwindet im gegenseitigen Ineinanderverschwinden des Seins und Nichts, weil
es die Vereinigung von diesen entgegengesetzten Momenten ist. Um das Werden
denken zu können[2],
muss es etwas geben, das werden kann, und das ist die Einheit des Seins und
Nichts als bestimmtes Sein oder Dasein. Eben dem Dasein ist das zweite Kapitel
gewidmet, das drei Abteilungen hat: das Dasein als solches, die Endlichkeit,
die (qualitative) Unendlichkeit.
»Das Dasein ist das einfache Einssein des Seins und
Nichts« (WL: 116). Es ist,
aber insofern es da ist, ist es nicht nicht-da. Zwar gehört die
Raumvorstellung nicht hierher, sie kann aber helfen, um die Bedeutung der
Bestimmtheit zu erklären. Genau wie etwas, das da ist, kann nicht zum Beispiel hier
sein, und es darf gesagt werden, es ist da
und ist nicht hier, ist ein bestimmtes Sein was es ist, und
zugleich ist es nicht, was es nicht
ist. Und was ein bestimmtes Sein ist,
ist seine Qualität, die ihm gehört, und was es nicht ist, sind alle die Qualitäten, die ihm nicht gehören. Das
klingt selbstverständlich und tautologisch. Damit ist jedoch nicht das einfache
Identitätsprinzip gemeint, dem zufolge A = A, sondern, dass zur Identität eines
Daseins auch das, was es nicht ist, wesentlich gehört. »Die Realität enthält
selbst die Negation« (WL: 122). Die Unterscheidung zwischen Sein und Nicht-Sein
ist deswegen aufgehoben, und »dies Aufgehobensein des Unterschieds ist die
eigene Bestimmtheit des Daseins; so ist es Insichsein;
das Dasein ist Daseiendes, Etwas« (WL: 123).
Das Dasein ist also Etwas, insofern es die Negation negiert,
d. h. es negiert die abstrakte Entgegensetzung zwischen sich selbst und dem,
was es nicht ist. Ein Etwas kann nicht isoliert, abstrakt, gedacht werden; es
ist, was es ist, eben deshalb, weil es nicht ist, was es nicht ist.
Anders gesagt, Etwas ist Etwas nur gegen ein Anderes
(»Etwas und ein Anderes« ist der Titel des ersten Abschnitts der Endlichkeitsabteilung).
Das Andere hat zweierlei Bedeutungen: Einerseits kann das Andere ein anderes
Dasein sein, und als solches ist es Etwas (und umgekehrt ist das Etwas das
Andere des Anderen); andererseits kann das Andere das Andere seiner selbst
sein, also »das sich Verändernde« (WL:
127). Aber das sich verändernde Etwas erhält seine Identität mit sich selbst,
es bleibt »identisch mit sich« (ebd.), wie zum Beispiel ein Mensch ein Mensch
bleibt, obwohl er alt wird.
Wenn Hegel im nächsten Absatz schreibt, »Etwas erhält sich in seinem Nichtdasein«
(ebd.), meint er meines Erachtens nicht nur das sich Verändernde, sondern das
Etwas im Allgemeinen, in seiner Beziehung sowohl auf das andere Etwas als auch
auf das Andere seiner selbst. Im ersten Sinne, ist das Etwas durch das Andere
bestimmt, bleibt es aber gleich mit sich selbst. Wenn ich das richtig verstehe,
können die folgenden Beispiele es besser erklären: Ein Mensch ist durch eine
Krankheit (ein Anderes) bestimmt, bleibt aber gleich mit sich selbst, wenn er
durch ein Medikament gesund wird; ein Stein ist durch einen Strand bestimmt
(als solche ist er ein Stein-auf-dem-Strand), bleibt aber gleich mit sich
selbst, wenn ihn ins Meer geworfen wird (und wird dadurch ein Stein-im-Meer).
Im zweiten Sinne ist das Etwas durch seine Veränderung bestimmt, ohne seine
Identität zu verlieren (dazu habe ich schon ein Beispiel genannt).
Diese Beziehung des Etwas auf das Andere nennt Hegel »Sein-für-Anderes«.
Indem aber das Etwas zugleich »Beziehung auf sich gegen seine Beziehung auf Anderes« (WL: 128) ist, darf das
Sein-für-Anderes nur als Moment neben dem Ansichsein (so heißt die Beziehung
auf sich) verstanden werden. Dies sind die zwei Momente des Etwas, und das
heißt: das Etwas ist ihre dialektische Einheit. Die zwei Momente sind nicht
selbständig, sondern jedes ist durch das andere vermittelt.
Nun ist das reflektierte Ansichsein des Daseins etwas
mehr als seine Bestimmtheit. Diese ist eine negative Charakterisierung, die das
Etwas vom Anderen trennt. Indem aber das Sein-für-anderes am Etwas ist, weil das Ansich durch die Aufhebung desselben
wiederum determiniert wird, ist das Ansichsein jetzt eine Bestimmung, die »affirmative Bestimmtheit« (WL: 132) ist[3].
Die Bestimmung, erklärt Hegel, »enthält dies, daß, was etwas an sich ist, auch an ihm sei« (ebd.), das heißt sie ist eine Potentialität, die nur
dadurch zur Aktualität kommen (erfüllt werden) kann, dass das Andere die Natur
des Etwas nicht beeinträchtigt, sondern seine Entwicklung ermöglicht oder
fördert.
Hegel sagt beispielsweise, »die Bestimmung des Menschen ist
die denkende Vernunft« (ebd.). »Denken überhaupt ist seine einfache Bestimmtheit, er ist durch dieselbe von
dem Tiere unterschieden« (ebd.). Als Bestimmung ist die denkende Vernunft eher
eine Potentialität, ein Sollen, was von »äußerlich gegenüberstehende,
unmittelbare Sinnlichkeit und Natur« (WL: 133) beeinträchtigt werden kann. Jedoch
darf man die Bestimmung nicht nur moralisch verstehen. Auch ein Hammer hat zum
Beispiel eine Bestimmung, und zwar, sie ist als Zeug zum Hämmern benutzt zu
werden[4].
Das Sein-für-Anderes bestimmt darüber hinaus die Beschaffenheit des Etwas, insofern jedes
Etwas äußeren Einflüssen und Verhältnissen preisgegeben ist. Die Beschaffenheit
ist die äußerliche zufällige Existenz des Etwas, was seine Bestimmung nicht
verändert. Trotzdem ist sie nicht einfach äußerlich, sie hängt von der
Bestimmung ab. Die Beschaffenheit der Tiere ist zum Beispiel ihre körperliche
Existenz, aber der Mensch unterscheidet sich von den anderen Tieren, insofern
seine Beziehung auf den Körper eine vernünftige sein mag[5].
Umgekehrt ist die Bestimmung von der Beschaffenheit beeinflusst: »ferner gehört
die Beschaffenheit zu dem, was das Etwas an sich ist: mit seiner Beschaffenheit
ändert sich Etwas« (WL: 134).
Das Etwas ist also wesentlich Ansichsein und
Sein-für-Anderes, ihm gehören wesentlich die Bestimmung und die Beschaffenheit
zu. Insofern aber das Etwas sich auf sich selbst durch die Negation des Anderen
bezieht, darf man sagen, dass das Etwas »das
Aufhören eines Anderen an ihm« ist (WL: 135). Das Etwas hat nämlich eine Grenze, die zunächst das Nichtsein des
Anderen ist. Aber das Andere ist selbst ein Etwas, so ist die Grenze das
Nichtsein »des Etwas überhaupt«;
zugleich ist die Grenze »das Sein des Etwas; dieses ist durch sie das, was es ist, hat in ihr seine Qualität« (WL: 136). Die Grenze ist also zugleich das Anfangen
und das Aufhören des Etwas überhaupt, also des Etwas und des Anderen; wie Paul
O. Johnson erklärt hat, »consequently, we must say that, in its limit, the
thing both is, and is not« (Johnson 1988: 25).
Die Grenze spricht also die Widersprüchlichkeit des Etwas
aus, durch die »es über sich hinausgewiesen und getrieben wird« (WL, 139). Der
Punkt ist zum Beispiel die Grenze der Linie, in der sie anfängt und aufhört; er
ist aber eine Abstraktion, er kann ohne die Linie nicht gedacht werden. Das Begrenzte
kann nicht ohne das Unbegrenzte gedacht werden, das Endliches ist »nur das Endliche« (WL: 141), das
Nicht-Unendliche: »dies liegt unmittelbar in seiner Bestimmung und Ausdruck«
(ebd.).
Wenn man aber sagt, die Dinge sind endlich, denkt man,
dass ihre Wahrheit ihr Ende, ihr Vergehen, ihre bloße Negation sei. Der
Verstand denkt nicht in dialektischer Weise, sondern erhält die gegensätzliche
Momenten, als seien sie selbständig. Damit geht er aber zum abstrakten
Gegensatz des Nichts und Seins zurück – zu den ersten Kategorien der Logik. Die
Kategorie der Endlichkeit wird also nicht aufgehoben, obwohl sie in sich selbst
widerspricht: ohne die Möglichkeit, das Endliche mit dem Affirmativen zu
versöhnen, wird die Endlichkeit verabsolutiert und verewigt. Die Endlichkeit der Dinge »ist ihre
unveränderliche, d. i. nicht in ihr Anderes, d. i. nicht in ihr Affirmatives
übergehende Qualität; so ist sie ewig«
(WL: 140).
Dass die Endlichkeit absolut sei, ist aber ein
unhaltbarer Widerspruch: sie muss also vergehen, sich aufheben. Das Endliche
darf aber nicht im Nichts vergehen, weil das, wie gesagt, ein Rückgang statt
einer Aufhebung ist. Die echte affirmative Aufhebung des Endliches ist also das
Vergehen des Vergehens.
Das Sollen und die Schranke oder das Schlecht-Unendliche
Um dieses Resultat zu erreichen, muss man noch einmal auf
die Grenze eingehen. Sie ist der Gegensatz zum Sein-für-Anderes und wird
nämlich von Hegel als das »Nichtsein-für-Anderes«
(WL: 136) charakterisiert. Das Etwas ist also zugleich Sein- und Nichtsein-für-Anderes.
Es wurde aber auch gezeigt, dass das Sein-für-Anderes im reflektierten Ansichsein
aufgehoben wird und dass es dadurch die Bestimmung des Etwas ist. Nun ist die
Aufhebung des Nichtsein-für-Anderes die Schranke, als die vom Etwas gesetzten
Negation, und die Schranke ist die Schranke der Bestimmung. Die abstrakte
Entgegensetzung von Sein-für-Anderes und Nicht-sein-für-Anderes wird die
dialektische gegenseitige Negation der Bestimmung und der Schranke.
Wie Hegel darüber hinaus schreibt, »Daß die Grenze, die
am Etwas überhaupt ist, Schranke sei, muß es zugleich in sich selbst über sie hinausgehen, sich an ihm selbst
auf sie als auf ein Nichtseiendes beziehen.
[…] Und indem sie in der Bestimmung selbst als Schranke ist, geht
Etwas damit über sich selbst hinaus«
(WL: 143). Nun bedeutet dies, dass das Etwas über seine gegenwärtige Aktualität
hinausgeht, es kommt einen Schritt in die Richtung seiner Bestimmung fort, es
folgt nämlich sein Sollen. Nur als
Gegenteil eines Sollens tritt die Schranke hervor[6].
Brigitte Bitsch hat diese ganze Passage sehr schön zusammengefasst: »Sollen expliziert ein Anisich (eine
„Möglichkeit“) gegen ein Dasein (eine
„vorhandene“ Wirklichkeit), dessen
Bestimmung (und d. h. dessen Notwendigkeit!) es sein soll. Sollen tritt gegen etwas auf. Sein Widerpart ist die Schranke« (Bitsch 1977: 33).
In diesem Zitat taucht die Widersprüchlichkeit des Sollens
schon auf. Die Bestimmung spricht eine begriffliche Notwendigkeit (eine
Potentialität) aus, während das Sollen eigentlich seiner unmöglichen, immer
wieder verschobenen, Erfüllung (Aktualisierung) entspricht. Das Sollen ist also
eine Herabsetzung der Bestimmung[7]. Denn
wenn das, was sein soll, wäre, sollte es
nicht sein; was sein soll, soll also
zugleich nicht sein. Das Sollen
enthält infolgedessen eine unaktualisierbaren Potentialität, das heißt eine
Möglichkeit, die zugleich unmöglich ist.
Wenn aber – so schrieb schon Aristoteles –,
wie gesagt, möglich etwas insofern ist, als ihm die Wirklichkeit folgt, so kann
es offenbar nicht wahr sein, wenn man sagt, das und das sei zwar möglich, aber
es werde nicht eintreten, da auf diese Weise die Bedeutung von unmöglich uns
ganz entginge. [...] [W]enn man selbst annähme, es sei etwas oder es sei etwas
geworden, das zwar nicht ist, aber doch möglich ist, dadurch keine
Unmöglichkeit eintreten würde (Met: Θ, IV, 1047b).
Zwar liegt das Können im Begriff des Sollens, »denn das
Sollen ist das Hinaussein über die Schranke; die Grenze ist in demselben
aufgehoben […]« (WL: 144). Aber umgekehrt ist es ebenso richtig zu sagen: »Du kannst nicht, eben weil du sollst«.
Hegel erklärt das so deutlich, dass man ihn einfach weiterzitieren kann: »Denn
im Sollen liegt ebensosehr die Schranke als Schranke; jener Formalismus der
Möglichkeit hat an ihr eine Realität, ein qualitatives Anderssein sich
gegenüber, und die Beziehung beider aufeinander ist der Widerspruch, somit das
Nicht-Können oder vielmehr die Unmöglichkeit« (WL: 144-45).
Dies ist freilich gegen Kant (und Fichte) gesagt. Schon
in der »Phänomenologie des Geistes« wurde der kategorische Imperativ als »formale Allgemeinheit« (Phän: 231) kritisiert.
Das Sollen ist aber nicht nur moralisch zu verstehen (vgl. WL: 144). In der Tat
können auch die Kantischen Ideen der theoretischen Vernunft als ein Sollen
betrachtet werden[8].
Die Ideen machen nämlich ein absolutes Ganze aus, was aber von dem Verstand nie
erfasst werden kann. Das Denken soll sich immer auf die Ideen hin orientieren,
ohne sie erreichen zu können. Das vermeintliche Erreichen würde den Verstand in
eine (nach Kant) unauflösbare Dialektik verstricken. Die Ideen haben also
keinen konstitutiven Gebrauch, »[d]agegen aber haben sie einen vortrefflichen
und unentbehrlichnothwendigen regulativen Gebrauch, nämlich den Verstand zu
einem gewissen Ziele zu richten« (KrV: B 672).
Hegel wendet sich eben gegen die Kantische Beschränkung
der Rolle der theoretischen Vernunft, wenn er polemisch schreibt: »Die Vernunft
aber, das Denken, sollte nicht über die Schranke hinausgehen können, – sie, die
das Allgemeine ist, das für sich über
die, über alle Besonderheit hinaus ist, nur das Hinausgehen über die Schranke
ist« (WL: 146). Die kritische Philosophie Kants ist genau das Gegenteil der von
Hegel, insofern sie die Möglichkeit negiert, das Ganze zu denken, was für Hegel
eben die Aufgabe der Philosophie ist. Wie Giacomo Rinaldi geschrieben hat,
»Insofar as the Critical Philosophy denies the Absolute’s self-evident presence
in the ideas of self-conscious reason – i. e., the very possibility of any stricto sensu ‘speculative’ thought –,
it is […] the natural adversary of any ‘true philosophical science’« (Rinaldi
1992: 50).
Dies sind aber äußerliche Einwände, die zur Entfaltung
der Logik selbst nicht gehören. Mit ihnen wollte ich nur auf die Kluft zwischen
den beiden Philosophen hinweisen. Wichtig für die weitere Entfaltung der Logik
ist die folgende Hegelsche Behauptung: »Im Sollen beginnt das Hinausgehen über
die Endlichkeit« (WL: 145). Die Unmöglichkeit des Erreichens bzw. der Erfüllung
löst nämlich einen »Progreß ins Unendliche« (ebd.) aus.
Das Endliche negiert sich selbst und geht über seine
Schranke ins Unendliche hinaus; das Unendliche ist aber selbst beschränkt, denn
es ist Unendlich nur gegen die Schranke (anderenfalls wäre es abstraktes Sein);
das Unendliche ist also selbst ein Endliches, es fällt in die vorherigen
Kategorie zurück, deren Aufhebung es sein sollte. Das erneut eingetretene Sein
ist nun wiederum aufzuheben, »und so fort
ins Unendliche« (WL: 154).
Der Verstand gibt zu, dass das Endliche ins Unendliche
notwendigerweise übergeht, weil das Endliche »zwar als bestehendes Dasein, aber
zugleich auch als das an sich nichtige, also sich nach seiner
Bestimmung auflösende bestimmt ist« (WL: 153). Der nicht-dialektische Verstand
stellt aber das Endliche und das Unendliche gegenüber, als seien sie zwar
untrennbar, aber zugleich selbständig. Das Eine ist die einfache Negation des
Anderen, und sie bleiben auseinander und aufeinander folgend (vgl. WL: 161).
Indem sie in ihre wahren Einheit nicht gedacht werden, können sie sich nur
gegenseitig immer wieder, d. i. unendlich, negieren.
Das Unendliche des Progresses nennt Hegel »das Schlecht-Unendliche« (WL: 152)[9].
Endliches und Unendliches sind bloß äußerlich vereinet, und das ist, wie
Charles Taylor schreibt, »a failure to unite finite and infinite, since the
unity could never be consummated. However far one takes an infinite
progress, there is always more to go« (Taylor 1975 : 240). Ein
gutes Beispiel dafür kann der schon zitierten Passage der Metaphysik des
Aristoteles entnommen werden: »[W]enn Jemand sagte, es sei zwar möglich, dass
die Diagonale gemessen werde[10],
doch werde sie niemals gemessen werden, ohne zu bedenken, wie es unmöglich ist,
dass etwas als möglich durch nichts gehindert sein soll zu sein oder zu werden
und doch nicht sei und nicht sein werde« (Met: Θ, IV, 1047b).
Da das Maß der
Diagonale eine irrationelle Zahl ist (d =
s · 1,
414…), kann es nie
gemessen werden (die Dezimalzahlen sind nämlich unendlich). Aber sie ist, und hat deswegen ein Maß[11],
dem eine Zahl entsprechen soll; daher
kann sie auch gemessen werden, obwohl
die letzte Dezimalzahl nie erreicht werden wird[12].
Jedoch, wie Aristoteles erklärt, ist es sinnlos zu denken, dass etwas Mögliches
nie eintreten wird. Und das, was nicht eintritt, ist das Unendliche selbst, das
also, wie gesagt, ins Endliche zurückfällt.
Von einer
anderen Perspektive angesehen: als bloße unmittelbare Negation des Endlichen
ist das Unendliche sein Anderes. Was aber ein Anderes gegen sich hat ist nur
das Endliche (das Etwas), sodass das Unendliche verendlicht wird. Andererseits
steht das Endliche in dieser gegenseitigen Beziehung als reales Dasein gegenüber;
es wird nicht aufgehoben und wird also verunendlicht; »es ist
dieselbe Selbständigkeit und Affirmation seiner, welche das Unendliche sein
soll« (WL: 158); obwohl es
zunächst schien, als ob es, durch das Hinausgehen über die Schranke, in die
Unendlichkeit verschwunden wäre (vgl. WL: 150-51).
Obwohl das
Unendliche als bestimmtes Etwas resultiert, als das Negative der Endlichkeit
ist es zugleich das Negative »der Bestimmtheit überhaupt«, ist also
»als das leere Jenseits bestimmt« (WL: 160). Ihm wird die Affirmation des
Daseins nicht zugeschrieben, denn insofern es sein soll, soll es nicht da sein,
soll unerreichbar bleiben (WL: 164; vgl. WL: 156). Somit bleibt dem Verstand »diese endliche Welt
als ein Diesseits stehen, so daß das Unendliche nur über dem Endlichen gesetzt […] wird« (WL: 153). Kurz ausgedrückt:
»Es gibt zwei Welten« (WL: 152).
Diese Kritik wendet sich eindeutig gegen die platonische
Zweiweltenlehre; sie bezieht außerdem das platonisierte Christentum ein, »das
die Erfüllung der Verheißung ins ›Jenseits‹, das heißt ins Leben nach dem Tode,
verlegt« (Theunissen 1994: 297). Es ist aber vor allem klar, dass diese Kritik
auch für die Kantische Philosophie gilt, die in Hegels Augen mit ihrer
kritischen Aufgabe gescheitert ist, insofern sie die Kluft zwischen Idealität
und Realität nicht überbrückt hat. So schreibt der Philosoph in seiner
Enzyklopädie: »Indem die Behauptung von dem festen Beharren des Endlichen dem
Unendlichen gegenüber über alle Metaphysik hinweg zu sein meint, steht sie ganz
nur auf dem Boden der ordinärsten Verstandes-Metaphysik« (E: §95).
Die Auflösung des Widerspruchs oder das Wahrhaft-Unendliche
Der Methode der Dialektik zufolge, können die
Widersprüche, in deren der Verstand »nach allen Seiten verfällt« (WL: 152), nur
dadurch überholt werden, dass die Vernunft die vom Verstand als isoliert und
für sich bestehend Gegensätze als ideelle und aufgehobene Momente einer höheren
Einheit erfasst. Auf der Ebene des Verstandes ist die Wahrheit schon vorhanden,
aber sie lässt sich noch nicht völlig anerkennen. Schon da kann behauptet
werden, dass Endliches und Unendliches, indem jedes an ihm selbst und aus
seiner Bestimmung das Setzen seines Anderen ist, untrennbar sind. »Aber diese
ihre Einheit ist in dem qualitativen Anderssein derselben verborgen« (WL: 154).
Es liegt nämlich in der Natur des Endlichen, dass es über
seine Schranke ins Unendliche hinaus geht. Damit aber negiert es sich einfach
und verschwindet im Unendlichen (vgl. WL: 150). Wie wir schon wissen, wird das
Unendliche des Verstandes wiederum das Sein des Endlichen erwecken (vgl. WL:
151). Andererseits ist zugegeben, dass das Unendliche erst als Negation des
Endlichen entsteht, und zwar als Negation eines nichtigen Seins, also als
Negation der Negation. Es resultiert also vermittels der Negation zum
affirmativen Sein. Wird aber diese Affirmation »als nur einfaches, qualitatives
Sein genommen« (WL: 154), setzt man die vermittelte Negation zur einfachen
unimittelbaren Negation herab und damit wird die Einheit der beiden Momente
übergesehen. Somit sind das Endliche und das Unendliche »untrennbar und
zugleich schlechthin Andere gegeneinander« (WL: 155).
Die Einheit der beiden Kategorien wird durch ihre
Aufhebung erreicht. Das Endliche hebt sich ins Unendliche als das Negieren der
Endlichkeit auf; es ist also eine Negation (das Endliche als nichtiges Sein),
»die sich in der Negation aufhebt«. Die
Unendlichkeit ihrerseits, zunächst als das leere Jenseits bestimmt, hebt sich
ins Endliche als das Negieren der Unendlichkeit auf; es ist also gleichermaßen
eine Negation (das Jenseits, dem kein Dasein zugeschrieben werden kann), die
sich in der Negation aufhebt. Das Resultat ist also »in beiden dieselbe
Negation der Negation« (WL: 160). Als solche ist sie Affirmation, »als Rückkehr
zu sich selbst, d. i. durch die Vermittlung,
welche die Negation der Negation ist« (WL: 160-61). »Rückkehr zu sich selbst«
heißt, dass jeder Moment seine Einseitigkeit negiert und seine wahre Identität
in dem Anderen findet; die Wahrheit des Endlichen ist das Unendliche und
umgekehrt. Anders gesagt, jedes Endliche ist an sich unendlicher Natur, während
das Unendliche (das Absolute) nur im Endliche existiert.
Die Negation der Negation enthält das Dasein: indem das wahrhaft Unendliche
sein Jenseitssein negiert hat, »ist [es]
da, präsent, gegenwärtig« (WL: 164).
Es ist außerdem »die Realität in
höherem Sinn als die früher einfach bestimmte«
(ebd.), da das Endliche sich als nichtiges Sein enthüllt hat und deswegen nicht
als das Reale betrachtet werden darf: »Das Endliche ist nicht das Reale,
sondern das Unendliche« (ebd.).
Die Kritik der Zweiweltenlehre ist also von einer starken
metaphysischen Anschauung geprägt, die, wie Theunissen es hervorgehoben hat,
das ursprüngliche gegen das platonisierte Christentum ins Spiel zu bringen scheint,
und zwar »die Botschaft von einem ewigen Leben, das in gegenwärtiger
Selbstfindung schon Wirklichkeit ist« (Theunissen 1994: 297). Solche Anschauung
erweist sich aber nicht als schlechthin antiplatonisch, wenn man zum Beispiel
an einen Autor wie Meister Eckhart denkt. Selbst Fichte stellt eine ähnliche
Anschauung dar, in der sich trotzdem eine unauslösbare dialektische Spannung
zwischen dem Endlichen und dem Absoluten findet, die also das Jenseits und das
Diesseits verbindet, ohne ihre Kluft aufzufüllen[13].
Das Hegelsche Absolute ist dem Pantheismus Brunos und Spinozas näherer, deren
Deutung des absoluten Wesens stellt, wie der Hegels, eine immanente, in sich
selbst sich unterscheidende (oder selbstunterschiedene) Totalität dar[14].
In Bezug auf das Thema der Unendlichkeit ist der Hinweis
auf Spinoza besonders wichtig, weil »the nearest historical antecedent of the
Hegelian category of True Infinity is […] the Spinozistic concept of the infinitum actu (or infinitum rationis)« (Rinaldi 1992: 155). Dieser Begriff wird
tatsächlich im Abschnitt der Quantität von Hegel selbst zitiert: »Jenes
Unendliche einer Reihe[15]
nennt Spinoza das Unendliche der
Imagination; das Unendliche hingegen als Beziehung auf sich selbst das Unendliche des Denkens oder infinitum actu«. Er präzisiert weiter:
»Es ist nämlich actu, es ist wirklich unendlich, weil es in sich
vollendet und gegenwärtig ist« (WL: 292). Es wird also deutlich, dass die zwei
Deutungen sehr nah beieinander liegen. Der einzige Hegelsche Vorwurf an die spinozistische
Deutung lautet, dass die Substanz dieser zufolge die Form einer unbewegten, das
heißt nicht sich mit sich selbst vermittelnden Einheit hat (vgl. WL: 291)[16].
Um diese »Starrheit« (ebd.) des Substanz zu vermeiden,
besteht Hegel auf der Unangemessenheit
der Formel einer Einheit des Endlichen und Unendlichen, denn »die
Einheit ist abstrakte bewegungslose
Sichselbstgleichkeit« (WL: 163-64). Solche Formel ist eigentlich für die ganze
Dialektik unangemessen, insofern sie die gegenseitige Bestimmung der Momente
übersieht und die beiden festhält. Das Unendliche ist eher Werden, was aber nicht eine Rückkehr zur vorherigen Kategorie
bedeutet. Es ist nämlich nicht das bloße Werden als Einheit des Seins und
Nichts, sondern es ist das weiter bestimmte Werden, das Werden des Endlichen
und Unendlichen (vgl. WL: 164).
Es ist notwendig, bei dieser Behauptung kurz zu
verweilen, denn es könnte scheinen, als ob Hegel sich widerspräche. Es wurde
nämlich gesagt, dass das Unendliche da und
gegenwärtig ist; andererseits wurde diese Darstellung gegen den unendlichen
Progress ins Spiel gebracht, der genau dem ewigen Werden des Unendlichen zu
entsprechen scheint. Wie kann das Unendliche zugleich da sein und werden?
Um diese Frage beantworten zu können, muss man berücksichtigen,
dass jedes Etwas von der Totalität der Anderen abhängt, weil es durch sein
Sein- und Nichtsein-für-Anderes bestimmt ist. Nun kann diese Abhängigkeit nur
auf einem selbstbestehenden Ganzen[17]
beruhen, weil, wenn das Etwas von einer grenzlosen Unendlichkeit abhängig wäre,
es einer (schlecht-)unendlichen Reihe von Anderen bedürfte, um bestimmt werden
zu können, das heißt, es könnte nie bestimmt werden.
Der unendliche Progress, den Hegel kritisiert und
ablehnt, darf nicht einfach zeitlich oder
räumlich verstanden werden. Es ist eher eine vom Verstand angenommene ontologische
Unendlichkeit, die die Natur der Sachen nicht ergreift. Wenn der Verstand recht
hätte, würden die Sachen keine Natur in
actu haben; sie wären immer in
potentia, also würden sie nicht sein,
insofern nur das actu (ενέργεια) Wirklichkeit ist[18].
Das Unendliche ist also das selbstbestehende Ganze und
ist als solches gegenwärtig, weil es
schon immer in actu ist; es ist wie
ein Kreis, das »geschlossen und ganz gegenwärtig ist, ohne Anfangspunkt und
Ende« (WL: 164). Sein Werden ist nicht ein Streben nach seiner Erfüllung,
sondern die dialektische Bewegung zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen,
deren Einheit schon immer da ist.
The Hegelian notion of the infinite is therefore that of an infinite
life embodied in a circle of finite beings, each of which is inadequate to it
and therefore goes under, but is replaced in a necessary order by another, the
whole series not being boundless but closed on itself in a circle. [...] The
elements are indeed finite and perishable, while the whole is infinite and
eternal. But there is no separation between the two, because the infinite only
exists in the necessary order of the finite (Taylor 1975: 240)[19].
Die
Behauptung, das Endliche sei nicht selbständig seiend, sondern ein Moment des
Ganzen, entspricht der, dass das Endliche das Ideelle ist. Dieser Satz macht
wiederum den Idealismus aus. »Der Idealismus der Philosophie besteht
in nichts anderem als darin, das Endliche nicht als ein wahrhaft Seiendes
anzuerkennen« (WL: 172). Indem aber Hegel die Widersprüchlichkeit dessen
gezeigt hat, dass dem Endlichen Dasein ein absolutes Sein zugeschrieben wird,
verdiene nur der Idealismus den Name Philosophie; »die Frage ist dann nur,
inwiefern dasselbe wirklich durchgeführt ist« (WL: 172). Und die Philosophie
Hegel sei bisher die beste Durchführung eines solchen Idealismus. Daraus es
gibt sich also eine Gleichung zwischen Philosophie, Idealismus, Metaphysik (und
Hegelismus). Nach Hegel hat man entweder Metaphysik (als wissenschaftliche
Philosophie) oder keine Philosophie. Natürlich hat Hegel die zweite Möglichkeit
ausgeschlossen, der heutige Leser muss aber sie in Betracht ziehen.
Auseinandersetzung mit der Kritik
Ich möchte mich jetzt mit einer üblichen Form der Kritik
auseinandersetzen, und zwar mit dem Versuch, das System der Logik durch die
Hervorhebung einiger vermeintlichen Trugschlüsse zu widerlegen. Als Beispiel
dafür nehme ich das Kapitel, in dem Theunissen (1994: 275 ff.)[20]
die Hegelsche Deutung der Unendlichkeit untersucht. Seine Hauptthese lautet,
dass das, was die Logik für Wahrheit ausgibt, im Grunde bloß ein Widerschein
des Scheins sei, also, dass Hegel das Schlecht-Unendliche nicht aufheben können
habe (279). Zunächst behauptet er, dass es einen Widerspruch gebe, indem der
Rückfall des Unendlichen in die Kategorie des Etwas ein scheinbares Etwas als
Resultat habe und zugleich eine Geburt aus dem Geiste der Wahrheit sei (280).
Mir scheint diese Kritik falsch, insofern die ganze Logik einen Weg zur höchsten
Wahrheit zeichnet, obwohl zugleich seine aufgehobene Momenten sich als Schein,
das heißt noch nicht ganz enthüllte Wahrheit erweisen.
Eine wesentlicher Kritik ist daran festgemacht, dass erstens
das Verschwundensein des Endlichen die Möglichkeit seines Hinausgehens und
damit seines Mit-sich-zusammengehens verhindere, und zweitens, dass dies die
Wiederherstellung des reinen Seins zum Ergebnis habe (281-82). Theunissen
versteht die Passage über das Verschwundensein (WL: 150) so, als sei sie eine
Betrachtung der wahrhaften Unendlichkeit. Meines Erachtens ist das falsch, weil
die affirmative Unendlichkeit noch nicht erreicht ist. Außerdem liest man auf
derselben Seite, dass das Unendliche ȟber
dem Endlichen« steht, was deutlich der falschen verstandsmäßigen
Darstellung der Unendlichkeit entspricht. Es gilt dem Verstand zufolge, dass
das Endliche zunächst ins Unendliche verschwindet, um kurz darauf wieder
erweckt zu werden[21].
Es ist wahr, dass das Verschwundensein die Wiederherstellung des reinen Seins zum
Ergebnis hat; dieses Sein – das dem reinen Nichts gleich ist – ist aber nicht
die wahrhafte Unendlichkeit, sondern das leere Jenseits. Die Aufhebung des
Endlichen ist nicht die Behauptung
seines Verschwundenseins.
In Konsequenz dieses Missverständnisses behauptet
Theunissen darüber hinaus, dass Hegel, indem er das Verschwinden als
Alternative zum Bleiben ergreife, denselben Schein reproduzierte, den der
Verstand in die Abwechslung des Endlichen und Unendlichen erzeugt (288). Das
Verschwinden ist aber keine Alternative zum Bleiben, sondern seine Kehrseite.
Der Widerspruch des abstrakten Denkens besteht eben darin, dass der Verstand
zugleich denkt, dass das Endliche verschwinden und bleiben muss, weil er zwar
anerkennt, dass die wahrhafte Natur des Endlichen die Unendlichkeit ist, er aber
sie nicht durchaus denken kann. In der wahrhaften Unendlichkeit verschwindet das
Endliche weder, noch bleibt es, sondern es erweist sich selbst als
nicht-unabhängiges, mit dem Unendlichen verbundenes Dasein.
Ein weiterer Fehler Theunissens ist meiner Auffassung
nach die Identifikation der selbstbezüglichen Negation mit der Definition des
Etwas. Indem Theunissen diese Identifikation Hegel zuschreibt, kann er
behaupten, dass Hegel die Wendung der Unendlichkeit zum Etwas mitmache (283).
Jedoch ist die selbstbezügliche Negation, was ein Synonym der vermittelten ist,
kein Merkmal des Etwas, sondern aller Kategorien, die durch die Aufhebung der
vorhergehenden entstehen. Das Etwas ist insofern selbstbezügliche Negation, als
es sich auf sich durch die Negation seines Sein-für-Anderes bezieht; aber
gleichermaßen ist das Unendliche selbstbezügliche Negation, indem es sein
Jenseitigkeit negiert und seine wahrhafte Natur ins Endliche wiederfindet.
Schließlich halte ich die Gleichsetzung der Rückkehr zu sich
der wahrhaften Unendlichkeit mit einer immer wiederkehrenden Rückkehr zum
Ausgangpunkt, was den unendlichen Progress des Verstandes nach Hegel
charakterisiert, für falsch. Theunissen
zufolge sei diese Rückkehr eine endlose und fruchtlose Rotation, worin die
eigentliche Bedeutung des erwähnten Bildes der Kreis bestehe (295-96). Der
Kritiker begründet seine Auffassung mit der Behauptung, die Rückkehr zu sich
sei die Selbstfindung, und zwar das vollendete Ende, des Endlichen gewesen.
Hegel habe dann das ursprüngliche Subjekt der Rückkehr, das Endliche nämlich,
durch das Unendliche ersetzt. Damit habe er zugleich die Bedeutung der Rückkehr
umgedeutet, sodass die Selbstfindung in die end- und fruchtlosen Rotation, der
ewige Wiederholung des Gleichen umschlage (293).
Das finde ich ein Übersehen der Bedeutung der Dialektik,
dessen Berichtigung die vorhergegebene Auslegung zu bedienen mag. Hier möchte
ich nur hinzufügen, dass Theunissen auf der Vorstellung des Verstandes
hartnäckig besteht, indem er die Überwindung des Endlichen rügt und dabei
übersieht, dass das Endliche erst in seiner dialektische Einheit mit dem
Unendlichen sich finden kann. Er gibt die Aufhebung des Etwas nicht zu und
schreibt das Scheitern dieser Aufhebung Hegel zu.
Er zitiert in einer Anmerkung einen Philosophen des 19.
Jahrhunderts, Trendelenburg, der bereits die These vertreten hatte, »daß die
›affirmative Unendlichkeit‹ über den ›unendlichen Progreß‹ gar nicht
hinauskomme« (296). Trendelenburg meint, dass aus die Gleichgültigkeit und
Austauschbarkeit des Endlichen und Unendlichen als ein Etwas und ein Anderes
keine übergreifende Totalität geboren werde (LU I: 59)[22].
Zwar sagt Hegel, dass es im unendlichen Progress egal
ist, »welches als Anfang genommen werde« (WL: 163; zit. In Theunissen 1980:
295). Der Grund dafür ist aber nur das, dass sich der Progress auf jeden Fall
ergibt und nicht, dass sie austauschbar sind. Diese Gleichgültigkeit gilt
außerdem nur für das abstrakte Denken und nicht für die spekulative Vernunft,
die den Progress schon überwunden hat. Schließlich fällt die Gleichgültigkeit
des Etwas und des Anderes, was Hegel »Dieselbigkeit«
nennt, »nur in die äußere Reflexion, in die Vergleichung
beider« (WL: 126). Es kann also nicht mit Recht behauptet werden, dass
diese Gleichgültigkeit für das Endliche und das Unendliche wesentlich gilt.
Mir scheint also, dass diese Kritiken an der Folgerichtigkeit der Logik
Hegels scheitern. Wenn sie aber auch richtig wären, würde das System der Logik
selbst noch nicht in seinem Allgemeinheit von ihnen getroffen. Hegel selbst hat
verschiedene Darstellungen der logischen Entwicklung ausgearbeitet und gibt zu,
dass sie nicht durchgängig richtig sein könnten. Wenn die Kritik sich nicht gegen
das Ganze des Systems wendet, sollte sie die Aufgabe übernehmen, die
kritisierte Ableitung zu verbessern, und sie kann nicht beanspruchen, dadurch
das System zusammenbrechen zu lassen, dass sie ein Detail widerlegt. Denn, wenn
die allgemeine zugrunde liegende Anschauung richtig ist, sollte es eine
richtige Ableitung geben.
Meines Erachtens besteht das Problem der Hegelschen Philosophie eben darin,
dass die These der Aufhebung des
Bewusstseinsgegensatzes – die als Ergebnis der Phänomenologie des Geistes zu
gewinnen wäre – unbeweisbar ist. Dass das Denken das Absolute erfassen kann,
kann meiner Auffassung nach nie beweisen werden und bleibt also ein Postulat.
Denn nur auf Grund eines solchen Postulat können die verwendeten Begriffen
überhaupt eine Bedeutung zugeschrieben werden; nur auf dieser Basis kann die
Identität des Denkens und der Realität gedacht werden. Ohne das Postulat wäre
nicht garantiert, dass die logische Entfaltung des Denkens der Realität
entspricht und dass sie nicht in eine leere Spekulation verfällt.
Aber auch die Ungültigkeit dieses Postulats kann nicht beweisen werden, denn
sie ist gleichermaßen eine Behauptung über das Ganze, und jede solche
Behauptung bedürfte eines unmöglichen Hinausgehens über das Ganze, um beweisen
werden zu können. Eben deshalb versucht Hegel, das Ganze in seiner innerlichen
Notwendigkeit zu erklären und es als Resultat (statt als Voraussetzung) zu erweisen;
dennoch bleibt es meines Erachtens ein Postulat, dass es überhaupt ein
denkbares Ganze gibt.
Eine philosophische Wissenschaft im Hegelschen Sinne, nämlich ein voraussetzungsloses
Wissen, ist also unmöglich, was aber nicht das Ende der Metaphysik überhaupt
bedeutet. Sie muss aber ihre eigene Voraussetzungen erkennen, die immer irgendeinen
Glauben erfordern.
Literaturverzeichnis
Aristoteles, Meth
= Metaphysik, Georg Reimer Verlag,
Berlin 1890.
Bitsch, Brigitte, 1977, Sollensbegriff und Moralitätskritik bei G. W. F. Hegel, Bouvier
Verlag Herbert Grundmann, Bonn.
Fichte, Johann G., Die Anweisung zum
seligen Leben, Felix Meiner Verlag, Hamburg 1983.
–, Die Bestimmung
des Menschen, Felix Meiner Verlag, Hamburg 1979.
Johnson, Paul O., 1988, The Critique of Thought. A re-examination of Hegel’s Science of Logic,
Avebury, Aldershot.
Hegel, Georg W. Friedrich, E = Enzyklopädie der philosophischen
Wissenschaften im Grundrisse (1830), in ders., Gesammelte Werke, Felix Meiner Verlag, Hamburg 1992, Bd. 20.
–, Phän = Phänomenologie des Geistes, in ders., Gesammelte Werke, Felix Meiner Verlag, Hamburg 1980, Bd. 9.
–, WL = Wissenschaft der Logik, Suhrkamp Verlag,
Frankfurt a. M. 201410.
Heidegger, Martin, SuZ
= Sein und Zeit, Niemeyer Verlag,
Tübingen 196310.
Kant, Immanuel, KrV
= Kritik der reinen Vernunft, in
ders., Werke, Wissenschaftliche
Buchgellschaft, Darmstadt 1968, Bde 3-4.
Rinaldi, Giacomo, 1992, A History and Interpretation of the Logic of Hegel, The Edwin
Mellen Press, Lewiston.
Schmidt, Josef, 1977, Hegels
Wissenschaft der Logik und ihre Kritik durch Adolf Trendelenburg, Johannes
Berchmans Verlag, München.
Taylor, Charles, 1975, Hegel, Cambridge University Press, Cambridge (Mass.).
Theunissen, Michael, 1980, Sein und Schein. Die kritische Funktion der Hegelschen Logik,
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M.
Trendelenburg, Friedrich A., LU = Logische Untersuchungen,
Verlag von S. Hirzel, Leipzig 18703, 2 Bde.
[1] E =
Enzykopädie der philosophischen Wissenschaften. Die verwendete Ausgabe der mit
einer Abkürzung zitierten Werken ist im Literaturverzeichnis gezeigt.
[2] Ich
verstehe das Verfahren der Logik so: jede Kategorie, die aus der Aufhebung
eines Widerspruchs entsteht, ermöglicht es, die vorhergehenden widersprüchlichen
Kategorien zu denken.
[3] Um
die Bedeutung dieses Wortes im Unterschied zu Bestimmtheit zu verstehen, kann
man an Die Bestimmung des Menschen Fichtes
denken.
[4]
Eine ähnliche Idee befindet sich in Heidegger SuZ: §§ 15-18. Vgl. aber auch
Aristoteles Met: Θ.
[5]
Dieses Beispiel ist von Johnson 1998: 24 herausgezogen: »the determination of
the constitution of the thing from outside is conditioned by the determination
of the thing; a rational being reacts in different ways to outside influences
from a non-rational one«.
[6] Das
Etwas soll seine Bestimmung erfüllen: die zwei Kategorien sind also bisher
gleichgültig. Vgl. WL: 133.
[7]
Vgl. WL: 144. Erst da sind die zwei Kategorien getrennt, indem das Etwas zwar
seine Bestimmung erfüllen soll, aber ebendeshalb, weil es soll, kann dies
letztlich nicht.
[8]
Vgl. Bitsch 1977: 13 ff.
[9] Er
präzisiert dies dahingehend, dass es »das Unendliche des Verstandes« ist.
[10]
Aristoteles meint natürlich das Verhältnis zwischen der Diagonale und der Seite
eines Quadrates.
[11]
Vgl. WL: 395: »Alles, was da ist, hat ein
Maß. Alles Dasein hat eine Größe […]«.
[12]
Obwohl die Rede hier von der Zahl ist, muss man nicht an die quantitative
Unendlichkeit denken. Das Beispiel sollte nur eine unendliche (bestimmte und qualitative)
Aufgabe darstellen, was die Messung der Diagonale tatsächlich ist. Der
Unterschied zwischen der qualitativen und quantitativen Unendlichkeit ist
sowieso nicht so groß. Die schlechte Unendlichkeit ist zwar einmal qualitativ,
als Aufeinanderfolge von endlichen (qualitativen) Dasein, einmal quantitativ,
als Reihenfolge von Zahlen, die, qualitativ betrachtet, gleichgültig sind; aber
die wahrhafte Unendlichkeit ist immer ein qualitatives Verhältnis zwischen
Endlichem und Unendlichem (vgl. Rinaldi 1992: 170). Ein mathematisches Beispiel
dafür kann die Formel d = √2 s sein,
insofern sie der »endliche Ausdruck«
einer unendlichen Reihe ist; sie »enthält den Wert, den die Reihe nur sucht,
vollständig« (WL: 289). Außerdem ist die quantitative schlechte Unendlichkeit,
genau wie die qualitative, als Sollen gekennzeichnet: »Die unendliche Reihe enthält nämlich die schlechte Unendlichkeit, weil
das, was die Reihe ausdrücken soll, ein Sollen
bleibt, und was sie ausdrückt, mit einem Jenseits, das nicht verschwindet,
behaftet und verschieden von dem ist,
was ausgedrückt werden soll« (ebd.). Vgl. dagegen die „schlechte“ Definition
der Unendlichkeit, die man in der Kritik der reinen Vernunft findet: »Der wahre
(transcendentale) Begriff der Unendlichkeit ist, dass die successive Synthesis
der Einheit in Durchmessung eines Quantum niemals vollendet sein kann« (KrV: B
459).
[13]
Sehr deutlich ist in dieser Hinsicht die Erste Vorlesung der Anweisung zum Seligen
Leben (s. das Literaturverzeichnis).
[14]
Vgl. Rinaldi 1992: 46 ff.
[15] Das
Schlecht-Unendliche nämlich; vgl. die 12. Anmerkung.
[16]
Deswegen habe ich oben zwischen »selbstunterscheidend« und »selbstunterschieden«
differenziert.
[17] Das
ist meine Übersetzung des von Taylor verwendeten Ausdrucks »self-subsistent
whole«. Meine Darstellung in diesem Abschnitt liegt nah zu seinem. Vgl. Taylor
1975: 241.
[18]
Vgl. Aristoteles, Meth. Θ, VI, 1048a.
[19] Diese
überzeugende Auslesung Taylors kann hier nicht ausführlich dargestellt werden.
Sei genug zu bemerken, dass das »infinite life«, über das er hier redet, das
Leben eines »self-positing Spirit [Geist]« sei. Vgl. a. a. O.: 76 ff.
[20] Von
nun an werde ich in Klammern nur die Seiten dieses Werkes angeben (außer wo
anders gezeigt).
[21]
»das unmittelbare Sein des
Unendlichen erweckt das Sein seiner
Negation, des Endlichen wieder, das zunächst im Unendlichen verschwunden
schien« (WL: 151).
[22] LU
= Logische Untersuchungen (s. das Literaturverzeichnis). Ich ziehe das Zitat
von Schmidt 1977: 124; vgl. die Argumentation in Theunissen 1980: 295.