venerdì 25 settembre 2015

Das Unendliche in Hegels Lehre vom Sein

Dies ist der Text einer Hausarbeit, die ich während meines Auslandsemesters geschrieben habe.


Die Ableitung der Logik bis zum Unendlichen


In dieser Arbeit möchte ich auf den Begriff des Unendlichen eingehen, den »Grundbegriff der Philosophie« (E: §95)[1], wie ihn in der Lehre vom Sein der »Wissenschaft der Logik« von Hegel dargestellt wird. Die Unendlichkeit tritt erst am Ende des zweiten Kapitels auf, es ist aber notwendig, sich einen Überblick über die vorhergehenden Kategorien zu verschaffen, insofern die ganze Logik Hegels sich nur als eine kontinuierliche Ableitung verstehen lässt.
Die Logik fängt mit den leeren Kategorien des reinen Seins und Nichts an, deren Aufhebung zum Werden führt. Dies hebt sich wiederum im Dasein auf. Das reine Werden verschwindet im gegenseitigen Ineinanderverschwinden des Seins und Nichts, weil es die Vereinigung von diesen entgegengesetzten Momenten ist. Um das Werden denken zu können[2], muss es etwas geben, das werden kann, und das ist die Einheit des Seins und Nichts als bestimmtes Sein oder Dasein. Eben dem Dasein ist das zweite Kapitel gewidmet, das drei Abteilungen hat: das Dasein als solches, die Endlichkeit, die (qualitative) Unendlichkeit.
»Das Dasein ist das einfache Einssein des Seins und Nichts« (WL: 116). Es ist, aber insofern es da ist, ist es nicht nicht-da. Zwar gehört die Raumvorstellung nicht hierher, sie kann aber helfen, um die Bedeutung der Bestimmtheit zu erklären. Genau wie etwas, das da ist, kann nicht zum Beispiel hier sein, und es darf gesagt werden, es ist da und ist nicht hier, ist ein bestimmtes Sein was es ist, und zugleich ist es nicht, was es nicht ist. Und was ein bestimmtes Sein ist, ist seine Qualität, die ihm gehört, und was es nicht ist, sind alle die Qualitäten, die ihm nicht gehören. Das klingt selbstverständlich und tautologisch. Damit ist jedoch nicht das einfache Identitätsprinzip gemeint, dem zufolge A = A, sondern, dass zur Identität eines Daseins auch das, was es nicht ist, wesentlich gehört. »Die Realität enthält selbst die Negation« (WL: 122). Die Unterscheidung zwischen Sein und Nicht-Sein ist deswegen aufgehoben, und »dies Aufgehobensein des Unterschieds ist die eigene Bestimmtheit des Daseins; so ist es Insichsein; das Dasein ist Daseiendes, Etwas« (WL: 123).
Das Dasein ist also Etwas, insofern es die Negation negiert, d. h. es negiert die abstrakte Entgegensetzung zwischen sich selbst und dem, was es nicht ist. Ein Etwas kann nicht isoliert, abstrakt, gedacht werden; es ist, was es ist, eben deshalb, weil es nicht ist, was es nicht ist.
Anders gesagt, Etwas ist Etwas nur gegen ein Anderes (»Etwas und ein Anderes« ist der Titel des ersten Abschnitts der Endlichkeitsabteilung). Das Andere hat zweierlei Bedeutungen: Einerseits kann das Andere ein anderes Dasein sein, und als solches ist es Etwas (und umgekehrt ist das Etwas das Andere des Anderen); andererseits kann das Andere das Andere seiner selbst sein, also »das sich Verändernde« (WL: 127). Aber das sich verändernde Etwas erhält seine Identität mit sich selbst, es bleibt »identisch mit sich« (ebd.), wie zum Beispiel ein Mensch ein Mensch bleibt, obwohl er alt wird.
Wenn Hegel im nächsten Absatz schreibt, »Etwas erhält sich in seinem Nichtdasein« (ebd.), meint er meines Erachtens nicht nur das sich Verändernde, sondern das Etwas im Allgemeinen, in seiner Beziehung sowohl auf das andere Etwas als auch auf das Andere seiner selbst. Im ersten Sinne, ist das Etwas durch das Andere bestimmt, bleibt es aber gleich mit sich selbst. Wenn ich das richtig verstehe, können die folgenden Beispiele es besser erklären: Ein Mensch ist durch eine Krankheit (ein Anderes) bestimmt, bleibt aber gleich mit sich selbst, wenn er durch ein Medikament gesund wird; ein Stein ist durch einen Strand bestimmt (als solche ist er ein Stein-auf-dem-Strand), bleibt aber gleich mit sich selbst, wenn ihn ins Meer geworfen wird (und wird dadurch ein Stein-im-Meer). Im zweiten Sinne ist das Etwas durch seine Veränderung bestimmt, ohne seine Identität zu verlieren (dazu habe ich schon ein Beispiel genannt).
Diese Beziehung des Etwas auf das Andere nennt Hegel »Sein-für-Anderes«. Indem aber das Etwas zugleich »Beziehung auf sich gegen seine Beziehung auf Anderes« (WL: 128) ist, darf das Sein-für-Anderes nur als Moment neben dem Ansichsein (so heißt die Beziehung auf sich) verstanden werden. Dies sind die zwei Momente des Etwas, und das heißt: das Etwas ist ihre dialektische Einheit. Die zwei Momente sind nicht selbständig, sondern jedes ist durch das andere vermittelt.
Nun ist das reflektierte Ansichsein des Daseins etwas mehr als seine Bestimmtheit. Diese ist eine negative Charakterisierung, die das Etwas vom Anderen trennt. Indem aber das Sein-für-anderes am Etwas ist, weil das Ansich durch die Aufhebung desselben wiederum determiniert wird, ist das Ansichsein jetzt eine Bestimmung, die »affirmative Bestimmtheit« (WL: 132) ist[3]. Die Bestimmung, erklärt Hegel, »enthält dies, daß, was etwas an sich ist, auch an ihm sei« (ebd.), das heißt sie ist eine Potentialität, die nur dadurch zur Aktualität kommen (erfüllt werden) kann, dass das Andere die Natur des Etwas nicht beeinträchtigt, sondern seine Entwicklung ermöglicht oder fördert.
Hegel sagt beispielsweise, »die Bestimmung des Menschen ist die denkende Vernunft« (ebd.). »Denken überhaupt ist seine einfache Bestimmtheit, er ist durch dieselbe von dem Tiere unterschieden« (ebd.). Als Bestimmung ist die denkende Vernunft eher eine Potentialität, ein Sollen, was von »äußerlich gegenüberstehende, unmittelbare Sinnlichkeit und Natur« (WL: 133) beeinträchtigt werden kann. Jedoch darf man die Bestimmung nicht nur moralisch verstehen. Auch ein Hammer hat zum Beispiel eine Bestimmung, und zwar, sie ist als Zeug zum Hämmern benutzt zu werden[4].
Das Sein-für-Anderes bestimmt darüber hinaus die Beschaffenheit des Etwas, insofern jedes Etwas äußeren Einflüssen und Verhältnissen preisgegeben ist. Die Beschaffenheit ist die äußerliche zufällige Existenz des Etwas, was seine Bestimmung nicht verändert. Trotzdem ist sie nicht einfach äußerlich, sie hängt von der Bestimmung ab. Die Beschaffenheit der Tiere ist zum Beispiel ihre körperliche Existenz, aber der Mensch unterscheidet sich von den anderen Tieren, insofern seine Beziehung auf den Körper eine vernünftige sein mag[5]. Umgekehrt ist die Bestimmung von der Beschaffenheit beeinflusst: »ferner gehört die Beschaffenheit zu dem, was das Etwas an sich ist: mit seiner Beschaffenheit ändert sich Etwas« (WL: 134).
Das Etwas ist also wesentlich Ansichsein und Sein-für-Anderes, ihm gehören wesentlich die Bestimmung und die Beschaffenheit zu. Insofern aber das Etwas sich auf sich selbst durch die Negation des Anderen bezieht, darf man sagen, dass das Etwas »das Aufhören eines Anderen an ihm« ist (WL: 135). Das Etwas hat nämlich eine Grenze, die zunächst das Nichtsein des Anderen ist. Aber das Andere ist selbst ein Etwas, so ist die Grenze das Nichtsein »des Etwas überhaupt«; zugleich ist die Grenze »das Sein des Etwas; dieses ist durch sie das, was es ist, hat in ihr seine Qualität« (WL: 136). Die Grenze ist also zugleich das Anfangen und das Aufhören des Etwas überhaupt, also des Etwas und des Anderen; wie Paul O. Johnson erklärt hat, »consequently, we must say that, in its limit, the thing both is, and is not« (Johnson 1988: 25).
Die Grenze spricht also die Widersprüchlichkeit des Etwas aus, durch die »es über sich hinausgewiesen und getrieben wird« (WL, 139). Der Punkt ist zum Beispiel die Grenze der Linie, in der sie anfängt und aufhört; er ist aber eine Abstraktion, er kann ohne die Linie nicht gedacht werden. Das Begrenzte kann nicht ohne das Unbegrenzte gedacht werden, das Endliches ist »nur das Endliche« (WL: 141), das Nicht-Unendliche: »dies liegt unmittelbar in seiner Bestimmung und Ausdruck« (ebd.).
Wenn man aber sagt, die Dinge sind endlich, denkt man, dass ihre Wahrheit ihr Ende, ihr Vergehen, ihre bloße Negation sei. Der Verstand denkt nicht in dialektischer Weise, sondern erhält die gegensätzliche Momenten, als seien sie selbständig. Damit geht er aber zum abstrakten Gegensatz des Nichts und Seins zurück – zu den ersten Kategorien der Logik. Die Kategorie der Endlichkeit wird also nicht aufgehoben, obwohl sie in sich selbst widerspricht: ohne die Möglichkeit, das Endliche mit dem Affirmativen zu versöhnen, wird die Endlichkeit verabsolutiert und verewigt.  Die Endlichkeit der Dinge »ist ihre unveränderliche, d. i. nicht in ihr Anderes, d. i. nicht in ihr Affirmatives übergehende Qualität; so ist sie ewig« (WL: 140).
Dass die Endlichkeit absolut sei, ist aber ein unhaltbarer Widerspruch: sie muss also vergehen, sich aufheben. Das Endliche darf aber nicht im Nichts vergehen, weil das, wie gesagt, ein Rückgang statt einer Aufhebung ist. Die echte affirmative Aufhebung des Endliches ist also das Vergehen des Vergehens.


Das Sollen und die Schranke oder das Schlecht-Unendliche


Um dieses Resultat zu erreichen, muss man noch einmal auf die Grenze eingehen. Sie ist der Gegensatz zum Sein-für-Anderes und wird nämlich von Hegel als das »Nichtsein-für-Anderes« (WL: 136) charakterisiert. Das Etwas ist also zugleich Sein- und Nichtsein-für-Anderes. Es wurde aber auch gezeigt, dass das Sein-für-Anderes im reflektierten Ansichsein aufgehoben wird und dass es dadurch die Bestimmung des Etwas ist. Nun ist die Aufhebung des Nichtsein-für-Anderes die Schranke, als die vom Etwas gesetzten Negation, und die Schranke ist die Schranke der Bestimmung. Die abstrakte Entgegensetzung von Sein-für-Anderes und Nicht-sein-für-Anderes wird die dialektische gegenseitige Negation der Bestimmung und der Schranke.
Wie Hegel darüber hinaus schreibt, »Daß die Grenze, die am Etwas überhaupt ist, Schranke sei, muß es zugleich in sich selbst über sie hinausgehen, sich an ihm selbst auf sie als auf ein Nichtseiendes beziehen. […] Und indem sie  in der Bestimmung selbst als Schranke ist, geht Etwas damit über sich selbst hinaus« (WL: 143). Nun bedeutet dies, dass das Etwas über seine gegenwärtige Aktualität hinausgeht, es kommt einen Schritt in die Richtung seiner Bestimmung fort, es folgt nämlich sein Sollen. Nur als Gegenteil eines Sollens tritt die Schranke hervor[6]. Brigitte Bitsch hat diese ganze Passage sehr schön zusammengefasst: »Sollen expliziert ein Anisich (eine „Möglichkeit“) gegen ein Dasein (eine „vorhandene“ Wirklichkeit), dessen Bestimmung (und d. h. dessen Notwendigkeit!) es sein soll. Sollen tritt gegen etwas auf. Sein Widerpart ist die Schranke« (Bitsch 1977: 33).
In diesem Zitat taucht die Widersprüchlichkeit des Sollens schon auf. Die Bestimmung spricht eine begriffliche Notwendigkeit (eine Potentialität) aus, während das Sollen eigentlich seiner unmöglichen, immer wieder verschobenen, Erfüllung (Aktualisierung) entspricht. Das Sollen ist also eine Herabsetzung der Bestimmung[7]. Denn wenn das, was sein soll, wäre, sollte es nicht sein; was sein soll, soll also zugleich nicht sein. Das Sollen enthält infolgedessen eine unaktualisierbaren Potentialität, das heißt eine Möglichkeit, die zugleich unmöglich ist.
Wenn aber – so schrieb schon Aristoteles –, wie gesagt, möglich etwas insofern ist, als ihm die Wirklichkeit folgt, so kann es offenbar nicht wahr sein, wenn man sagt, das und das sei zwar möglich, aber es werde nicht eintreten, da auf diese Weise die Bedeutung von unmöglich uns ganz entginge. [...] [W]enn man selbst annähme, es sei etwas oder es sei etwas geworden, das zwar nicht ist, aber doch möglich ist, dadurch keine Unmöglichkeit eintreten würde (Met: Θ, IV, 1047b).
Zwar liegt das Können im Begriff des Sollens, »denn das Sollen ist das Hinaussein über die Schranke; die Grenze ist in demselben aufgehoben […]« (WL: 144). Aber umgekehrt ist es ebenso richtig zu sagen: »Du kannst nicht, eben weil du sollst«. Hegel erklärt das so deutlich, dass man ihn einfach weiterzitieren kann: »Denn im Sollen liegt ebensosehr die Schranke als Schranke; jener Formalismus der Möglichkeit hat an ihr eine Realität, ein qualitatives Anderssein sich gegenüber, und die Beziehung beider aufeinander ist der Widerspruch, somit das Nicht-Können oder vielmehr die Unmöglichkeit« (WL: 144-45).
Dies ist freilich gegen Kant (und Fichte) gesagt. Schon in der »Phänomenologie des Geistes« wurde der kategorische Imperativ als »formale Allgemeinheit« (Phän: 231) kritisiert. Das Sollen ist aber nicht nur moralisch zu verstehen (vgl. WL: 144). In der Tat können auch die Kantischen Ideen der theoretischen Vernunft als ein Sollen betrachtet werden[8]. Die Ideen machen nämlich ein absolutes Ganze aus, was aber von dem Verstand nie erfasst werden kann. Das Denken soll sich immer auf die Ideen hin orientieren, ohne sie erreichen zu können. Das vermeintliche Erreichen würde den Verstand in eine (nach Kant) unauflösbare Dialektik verstricken. Die Ideen haben also keinen konstitutiven Gebrauch, »[d]agegen aber haben sie einen vortrefflichen und unentbehrlichnothwendigen regulativen Gebrauch, nämlich den Verstand zu einem gewissen Ziele zu richten« (KrV: B 672).
Hegel wendet sich eben gegen die Kantische Beschränkung der Rolle der theoretischen Vernunft, wenn er polemisch schreibt: »Die Vernunft aber, das Denken, sollte nicht über die Schranke hinausgehen können, – sie, die das Allgemeine ist, das für sich über die, über alle Besonderheit hinaus ist, nur das Hinausgehen über die Schranke ist« (WL: 146). Die kritische Philosophie Kants ist genau das Gegenteil der von Hegel, insofern sie die Möglichkeit negiert, das Ganze zu denken, was für Hegel eben die Aufgabe der Philosophie ist. Wie Giacomo Rinaldi geschrieben hat, »Insofar as the Critical Philosophy denies the Absolute’s self-evident presence in the ideas of self-conscious reason – i. e., the very possibility of any stricto sensu ‘speculative’ thought –, it is […] the natural adversary of any ‘true philosophical science’« (Rinaldi 1992: 50).
Dies sind aber äußerliche Einwände, die zur Entfaltung der Logik selbst nicht gehören. Mit ihnen wollte ich nur auf die Kluft zwischen den beiden Philosophen hinweisen. Wichtig für die weitere Entfaltung der Logik ist die folgende Hegelsche Behauptung: »Im Sollen beginnt das Hinausgehen über die Endlichkeit« (WL: 145). Die Unmöglichkeit des Erreichens bzw. der Erfüllung löst nämlich einen »Progreß ins Unendliche« (ebd.) aus.
Das Endliche negiert sich selbst und geht über seine Schranke ins Unendliche hinaus; das Unendliche ist aber selbst beschränkt, denn es ist Unendlich nur gegen die Schranke (anderenfalls wäre es abstraktes Sein); das Unendliche ist also selbst ein Endliches, es fällt in die vorherigen Kategorie zurück, deren Aufhebung es sein sollte. Das erneut eingetretene Sein ist nun wiederum aufzuheben, »und so fort ins Unendliche« (WL: 154).
Der Verstand gibt zu, dass das Endliche ins Unendliche notwendigerweise übergeht, weil das Endliche »zwar als bestehendes Dasein, aber zugleich auch als das an sich nichtige, also sich nach seiner Bestimmung auflösende bestimmt ist« (WL: 153). Der nicht-dialektische Verstand stellt aber das Endliche und das Unendliche gegenüber, als seien sie zwar untrennbar, aber zugleich selbständig. Das Eine ist die einfache Negation des Anderen, und sie bleiben auseinander und aufeinander folgend (vgl. WL: 161). Indem sie in ihre wahren Einheit nicht gedacht werden, können sie sich nur gegenseitig immer wieder, d. i. unendlich, negieren.
Das Unendliche des Progresses nennt Hegel »das Schlecht-Unendliche« (WL: 152)[9]. Endliches und Unendliches sind bloß äußerlich vereinet, und das ist, wie Charles Taylor schreibt, »a failure to unite finite and infinite, since the unity could never be consummated. However far one takes an infinite progress, there is always more to go« (Taylor 1975 : 240). Ein gutes Beispiel dafür kann der schon zitierten Passage der Metaphysik des Aristoteles entnommen werden: »[W]enn Jemand sagte, es sei zwar möglich, dass die Diagonale gemessen werde[10], doch werde sie niemals gemessen werden, ohne zu bedenken, wie es unmöglich ist, dass etwas als möglich durch nichts gehindert sein soll zu sein oder zu werden und doch nicht sei und nicht sein werde« (Met: Θ, IV, 1047b).
Da das Maß der Diagonale eine irrationelle Zahl ist (d = s · 1, 414…), kann es nie gemessen werden (die Dezimalzahlen sind nämlich unendlich). Aber sie ist, und hat deswegen ein Maß[11], dem eine Zahl entsprechen soll; daher kann sie auch gemessen werden, obwohl die letzte Dezimalzahl nie erreicht werden wird[12]. Jedoch, wie Aristoteles erklärt, ist es sinnlos zu denken, dass etwas Mögliches nie eintreten wird. Und das, was nicht eintritt, ist das Unendliche selbst, das also, wie gesagt, ins Endliche zurückfällt.
Von einer anderen Perspektive angesehen: als bloße unmittelbare Negation des Endlichen ist das Unendliche sein Anderes. Was aber ein Anderes gegen sich hat ist nur das Endliche (das Etwas), sodass das Unendliche verendlicht wird. Andererseits steht das Endliche in dieser gegenseitigen Beziehung als reales Dasein gegenüber; es wird nicht aufgehoben und wird also verunendlicht; »es ist dieselbe Selbständigkeit und Affirmation seiner, welche das Unendliche sein soll« (WL: 158); obwohl es zunächst schien, als ob es, durch das Hinausgehen über die Schranke, in die Unendlichkeit verschwunden wäre (vgl. WL: 150-51).
Obwohl das Unendliche als bestimmtes Etwas resultiert, als das Negative der Endlichkeit ist es zugleich das Negative »der Bestimmtheit überhaupt«, ist also »als das leere Jenseits bestimmt« (WL: 160). Ihm wird die Affirmation des Daseins nicht zugeschrieben, denn insofern es sein soll, soll es nicht da sein, soll unerreichbar bleiben (WL: 164; vgl. WL: 156).  Somit bleibt dem Verstand »diese endliche Welt als ein Diesseits stehen, so daß das Unendliche nur über dem Endlichen gesetzt […] wird« (WL: 153). Kurz ausgedrückt: »Es gibt zwei Welten« (WL: 152).
Diese Kritik wendet sich eindeutig gegen die platonische Zweiweltenlehre; sie bezieht außerdem das platonisierte Christentum ein, »das die Erfüllung der Verheißung ins ›Jenseits‹, das heißt ins Leben nach dem Tode, verlegt« (Theunissen 1994: 297). Es ist aber vor allem klar, dass diese Kritik auch für die Kantische Philosophie gilt, die in Hegels Augen mit ihrer kritischen Aufgabe gescheitert ist, insofern sie die Kluft zwischen Idealität und Realität nicht überbrückt hat. So schreibt der Philosoph in seiner Enzyklopädie: »Indem die Behauptung von dem festen Beharren des Endlichen dem Unendlichen gegenüber über alle Metaphysik hinweg zu sein meint, steht sie ganz nur auf dem Boden der ordinärsten Verstandes-Metaphysik« (E: §95).


Die Auflösung des Widerspruchs oder das Wahrhaft-Unendliche


Der Methode der Dialektik zufolge, können die Widersprüche, in deren der Verstand »nach allen Seiten verfällt« (WL: 152), nur dadurch überholt werden, dass die Vernunft die vom Verstand als isoliert und für sich bestehend Gegensätze als ideelle und aufgehobene Momente einer höheren Einheit erfasst. Auf der Ebene des Verstandes ist die Wahrheit schon vorhanden, aber sie lässt sich noch nicht völlig anerkennen. Schon da kann behauptet werden, dass Endliches und Unendliches, indem jedes an ihm selbst und aus seiner Bestimmung das Setzen seines Anderen ist, untrennbar sind. »Aber diese ihre Einheit ist in dem qualitativen Anderssein derselben verborgen« (WL: 154).
Es liegt nämlich in der Natur des Endlichen, dass es über seine Schranke ins Unendliche hinaus geht. Damit aber negiert es sich einfach und verschwindet im Unendlichen (vgl. WL: 150). Wie wir schon wissen, wird das Unendliche des Verstandes wiederum das Sein des Endlichen erwecken (vgl. WL: 151). Andererseits ist zugegeben, dass das Unendliche erst als Negation des Endlichen entsteht, und zwar als Negation eines nichtigen Seins, also als Negation der Negation. Es resultiert also vermittels der Negation zum affirmativen Sein. Wird aber diese Affirmation »als nur einfaches, qualitatives Sein genommen« (WL: 154), setzt man die vermittelte Negation zur einfachen unimittelbaren Negation herab und damit wird die Einheit der beiden Momente übergesehen. Somit sind das Endliche und das Unendliche »untrennbar und zugleich schlechthin Andere gegeneinander« (WL: 155).
Die Einheit der beiden Kategorien wird durch ihre Aufhebung erreicht. Das Endliche hebt sich ins Unendliche als das Negieren der Endlichkeit auf; es ist also eine Negation (das Endliche als nichtiges Sein), »die sich in der Negation aufhebt«. Die Unendlichkeit ihrerseits, zunächst als das leere Jenseits bestimmt, hebt sich ins Endliche als das Negieren der Unendlichkeit auf; es ist also gleichermaßen eine Negation (das Jenseits, dem kein Dasein zugeschrieben werden kann), die sich in der Negation aufhebt. Das Resultat ist also »in beiden dieselbe Negation der Negation« (WL: 160). Als solche ist sie Affirmation, »als Rückkehr zu sich selbst, d. i. durch die Vermittlung, welche die Negation der Negation ist« (WL: 160-61). »Rückkehr zu sich selbst« heißt, dass jeder Moment seine Einseitigkeit negiert und seine wahre Identität in dem Anderen findet; die Wahrheit des Endlichen ist das Unendliche und umgekehrt. Anders gesagt, jedes Endliche ist an sich unendlicher Natur, während das Unendliche (das Absolute) nur im Endliche existiert.
Die Negation der Negation enthält das Dasein: indem das wahrhaft Unendliche sein Jenseitssein negiert hat, »ist [es] da, präsent, gegenwärtig« (WL: 164). Es ist außerdem »die Realität in höherem Sinn als die früher einfach bestimmte« (ebd.), da das Endliche sich als nichtiges Sein enthüllt hat und deswegen nicht als das Reale betrachtet werden darf: »Das Endliche ist nicht das Reale, sondern das Unendliche« (ebd.).
Die Kritik der Zweiweltenlehre ist also von einer starken metaphysischen Anschauung geprägt, die, wie Theunissen es hervorgehoben hat, das ursprüngliche gegen das platonisierte Christentum ins Spiel zu bringen scheint, und zwar »die Botschaft von einem ewigen Leben, das in gegenwärtiger Selbstfindung schon Wirklichkeit ist« (Theunissen 1994: 297). Solche Anschauung erweist sich aber nicht als schlechthin antiplatonisch, wenn man zum Beispiel an einen Autor wie Meister Eckhart denkt. Selbst Fichte stellt eine ähnliche Anschauung dar, in der sich trotzdem eine unauslösbare dialektische Spannung zwischen dem Endlichen und dem Absoluten findet, die also das Jenseits und das Diesseits verbindet, ohne ihre Kluft aufzufüllen[13]. Das Hegelsche Absolute ist dem Pantheismus Brunos und Spinozas näherer, deren Deutung des absoluten Wesens stellt, wie der Hegels, eine immanente, in sich selbst sich unterscheidende (oder selbstunterschiedene) Totalität dar[14].
In Bezug auf das Thema der Unendlichkeit ist der Hinweis auf Spinoza besonders wichtig, weil »the nearest historical antecedent of the Hegelian category of True Infinity is […] the Spinozistic concept of the infinitum actu (or infinitum rationis)« (Rinaldi 1992: 155). Dieser Begriff wird tatsächlich im Abschnitt der Quantität von Hegel selbst zitiert: »Jenes Unendliche einer Reihe[15] nennt Spinoza das Unendliche der Imagination; das Unendliche hingegen als Beziehung auf sich selbst das Unendliche des Denkens oder infinitum actu«. Er präzisiert weiter: »Es ist nämlich actu, es ist wirklich unendlich, weil es in sich vollendet und gegenwärtig ist« (WL: 292). Es wird also deutlich, dass die zwei Deutungen sehr nah beieinander liegen. Der einzige Hegelsche Vorwurf an die spinozistische Deutung lautet, dass die Substanz dieser zufolge die Form einer unbewegten, das heißt nicht sich mit sich selbst vermittelnden Einheit hat (vgl. WL: 291)[16].
Um diese »Starrheit« (ebd.) des Substanz zu vermeiden, besteht Hegel auf der Unangemessenheit der Formel einer Einheit des Endlichen und Unendlichen, denn »die Einheit ist abstrakte bewegungslose Sichselbstgleichkeit« (WL: 163-64). Solche Formel ist eigentlich für die ganze Dialektik unangemessen, insofern sie die gegenseitige Bestimmung der Momente übersieht und die beiden festhält. Das Unendliche ist eher Werden, was aber nicht eine Rückkehr zur vorherigen Kategorie bedeutet. Es ist nämlich nicht das bloße Werden als Einheit des Seins und Nichts, sondern es ist das weiter bestimmte Werden, das Werden des Endlichen und Unendlichen (vgl. WL: 164).
Es ist notwendig, bei dieser Behauptung kurz zu verweilen, denn es könnte scheinen, als ob Hegel sich widerspräche. Es wurde nämlich gesagt, dass das Unendliche da und gegenwärtig ist; andererseits wurde diese Darstellung gegen den unendlichen Progress ins Spiel gebracht, der genau dem ewigen Werden des Unendlichen zu entsprechen scheint. Wie kann das Unendliche zugleich da sein und werden?
Um diese Frage beantworten zu können, muss man berücksichtigen, dass jedes Etwas von der Totalität der Anderen abhängt, weil es durch sein Sein- und Nichtsein-für-Anderes bestimmt ist. Nun kann diese Abhängigkeit nur auf einem selbstbestehenden Ganzen[17] beruhen, weil, wenn das Etwas von einer grenzlosen Unendlichkeit abhängig wäre, es einer (schlecht-)unendlichen Reihe von Anderen bedürfte, um bestimmt werden zu können, das heißt, es könnte nie bestimmt werden.
Der unendliche Progress, den Hegel kritisiert und ablehnt, darf nicht  einfach zeitlich oder räumlich verstanden werden. Es ist eher eine vom Verstand angenommene ontologische Unendlichkeit, die die Natur der Sachen nicht ergreift. Wenn der Verstand recht hätte, würden die Sachen keine Natur in actu haben; sie wären immer in potentia, also würden sie nicht sein, insofern nur das actu (ενέργεια) Wirklichkeit ist[18].
Das Unendliche ist also das selbstbestehende Ganze und ist als solches  gegenwärtig, weil es schon immer in actu ist; es ist wie ein Kreis, das »geschlossen und ganz gegenwärtig ist, ohne Anfangspunkt und Ende« (WL: 164). Sein Werden ist nicht ein Streben nach seiner Erfüllung, sondern die dialektische Bewegung zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen, deren Einheit schon immer da ist.
The Hegelian notion of the infinite is therefore that of an infinite life embodied in a circle of finite beings, each of which is inadequate to it and therefore goes under, but is replaced in a necessary order by another, the whole series not being boundless but closed on itself in a circle. [...] The elements are indeed finite and perishable, while the whole is infinite and eternal. But there is no separation between the two, because the infinite only exists in the necessary order of the finite (Taylor 1975: 240)[19].
Die Behauptung, das Endliche sei nicht selbständig seiend, sondern ein Moment des Ganzen, entspricht der, dass das Endliche das Ideelle ist. Dieser Satz macht wiederum den Idealismus aus. »Der Idealismus der Philosophie besteht in nichts anderem als darin, das Endliche nicht als ein wahrhaft Seiendes anzuerkennen« (WL: 172). Indem aber Hegel die Widersprüchlichkeit dessen gezeigt hat, dass dem Endlichen Dasein ein absolutes Sein zugeschrieben wird, verdiene nur der Idealismus den Name Philosophie; »die Frage ist dann nur, inwiefern dasselbe wirklich durchgeführt ist« (WL: 172). Und die Philosophie Hegel sei bisher die beste Durchführung eines solchen Idealismus. Daraus es gibt sich also eine Gleichung zwischen Philosophie, Idealismus, Metaphysik (und Hegelismus). Nach Hegel hat man entweder Metaphysik (als wissenschaftliche Philosophie) oder keine Philosophie. Natürlich hat Hegel die zweite Möglichkeit ausgeschlossen, der heutige Leser muss aber sie in Betracht ziehen.


Auseinandersetzung mit der Kritik


Ich möchte mich jetzt mit einer üblichen Form der Kritik auseinandersetzen, und zwar mit dem Versuch, das System der Logik durch die Hervorhebung einiger vermeintlichen Trugschlüsse zu widerlegen. Als Beispiel dafür nehme ich das Kapitel, in dem Theunissen (1994: 275 ff.)[20] die Hegelsche Deutung der Unendlichkeit untersucht. Seine Hauptthese lautet, dass das, was die Logik für Wahrheit ausgibt, im Grunde bloß ein Widerschein des Scheins sei, also, dass Hegel das Schlecht-Unendliche nicht aufheben können habe (279). Zunächst behauptet er, dass es einen Widerspruch gebe, indem der Rückfall des Unendlichen in die Kategorie des Etwas ein scheinbares Etwas als Resultat habe und zugleich eine Geburt aus dem Geiste der Wahrheit sei (280). Mir scheint diese Kritik falsch, insofern die ganze Logik einen Weg zur höchsten Wahrheit zeichnet, obwohl zugleich seine aufgehobene Momenten sich als Schein, das heißt noch nicht ganz enthüllte Wahrheit erweisen.
Eine wesentlicher Kritik ist daran festgemacht, dass erstens das Verschwundensein des Endlichen die Möglichkeit seines Hinausgehens und damit seines Mit-sich-zusammengehens verhindere, und zweitens, dass dies die Wiederherstellung des reinen Seins zum Ergebnis habe (281-82). Theunissen versteht die Passage über das Verschwundensein (WL: 150) so, als sei sie eine Betrachtung der wahrhaften Unendlichkeit. Meines Erachtens ist das falsch, weil die affirmative Unendlichkeit noch nicht erreicht ist. Außerdem liest man auf derselben Seite, dass das Unendliche »über dem Endlichen« steht, was deutlich der falschen verstandsmäßigen Darstellung der Unendlichkeit entspricht. Es gilt dem Verstand zufolge, dass das Endliche zunächst ins Unendliche verschwindet, um kurz darauf wieder erweckt zu werden[21]. Es ist wahr, dass das Verschwundensein die Wiederherstellung des reinen Seins zum Ergebnis hat; dieses Sein – das dem reinen Nichts gleich ist – ist aber nicht die wahrhafte Unendlichkeit, sondern das leere Jenseits. Die Aufhebung des Endlichen ist nicht die Behauptung seines Verschwundenseins.
In Konsequenz dieses Missverständnisses behauptet Theunissen darüber hinaus, dass Hegel, indem er das Verschwinden als Alternative zum Bleiben ergreife, denselben Schein reproduzierte, den der Verstand in die Abwechslung des Endlichen und Unendlichen erzeugt (288). Das Verschwinden ist aber keine Alternative zum Bleiben, sondern seine Kehrseite. Der Widerspruch des abstrakten Denkens besteht eben darin, dass der Verstand zugleich denkt, dass das Endliche verschwinden und bleiben muss, weil er zwar anerkennt, dass die wahrhafte Natur des Endlichen die Unendlichkeit ist, er aber sie nicht durchaus denken kann. In der wahrhaften Unendlichkeit verschwindet das Endliche weder, noch bleibt es, sondern es erweist sich selbst als nicht-unabhängiges, mit dem Unendlichen verbundenes Dasein.
Ein weiterer Fehler Theunissens ist meiner Auffassung nach die Identifikation der selbstbezüglichen Negation mit der Definition des Etwas. Indem Theunissen diese Identifikation Hegel zuschreibt, kann er behaupten, dass Hegel die Wendung der Unendlichkeit zum Etwas mitmache (283). Jedoch ist die selbstbezügliche Negation, was ein Synonym der vermittelten ist, kein Merkmal des Etwas, sondern aller Kategorien, die durch die Aufhebung der vorhergehenden entstehen. Das Etwas ist insofern selbstbezügliche Negation, als es sich auf sich durch die Negation seines Sein-für-Anderes bezieht; aber gleichermaßen ist das Unendliche selbstbezügliche Negation, indem es sein Jenseitigkeit negiert und seine wahrhafte Natur ins Endliche wiederfindet.
Schließlich halte ich die Gleichsetzung der Rückkehr zu sich der wahrhaften Unendlichkeit mit einer immer wiederkehrenden Rückkehr zum Ausgangpunkt, was den unendlichen Progress des Verstandes nach Hegel charakterisiert,  für falsch. Theunissen zufolge sei diese Rückkehr eine endlose und fruchtlose Rotation, worin die eigentliche Bedeutung des erwähnten Bildes der Kreis bestehe (295-96). Der Kritiker begründet seine Auffassung mit der Behauptung, die Rückkehr zu sich sei die Selbstfindung, und zwar das vollendete Ende, des Endlichen gewesen. Hegel habe dann das ursprüngliche Subjekt der Rückkehr, das Endliche nämlich, durch das Unendliche ersetzt. Damit habe er zugleich die Bedeutung der Rückkehr umgedeutet, sodass die Selbstfindung in die end- und fruchtlosen Rotation, der ewige Wiederholung des Gleichen umschlage (293).
Das finde ich ein Übersehen der Bedeutung der Dialektik, dessen Berichtigung die vorhergegebene Auslegung zu bedienen mag. Hier möchte ich nur hinzufügen, dass Theunissen auf der Vorstellung des Verstandes hartnäckig besteht, indem er die Überwindung des Endlichen rügt und dabei übersieht, dass das Endliche erst in seiner dialektische Einheit mit dem Unendlichen sich finden kann. Er gibt die Aufhebung des Etwas nicht zu und schreibt das Scheitern dieser Aufhebung Hegel zu.
Er zitiert in einer Anmerkung einen Philosophen des 19. Jahrhunderts, Trendelenburg, der bereits die These vertreten hatte, »daß die ›affirmative Unendlichkeit‹ über den ›unendlichen Progreß‹ gar nicht hinauskomme« (296). Trendelenburg meint, dass aus die Gleichgültigkeit und Austauschbarkeit des Endlichen und Unendlichen als ein Etwas und ein Anderes keine übergreifende Totalität geboren werde (LU I: 59)[22].
Zwar sagt Hegel, dass es im unendlichen Progress egal ist, »welches als Anfang genommen werde« (WL: 163; zit. In Theunissen 1980: 295). Der Grund dafür ist aber nur das, dass sich der Progress auf jeden Fall ergibt und nicht, dass sie austauschbar sind. Diese Gleichgültigkeit gilt außerdem nur für das abstrakte Denken und nicht für die spekulative Vernunft, die den Progress schon überwunden hat. Schließlich fällt die Gleichgültigkeit des Etwas und des Anderes, was Hegel »Dieselbigkeit« nennt, »nur in die äußere Reflexion, in die Vergleichung beider« (WL: 126). Es kann also nicht mit Recht behauptet werden, dass diese Gleichgültigkeit für das Endliche und das Unendliche wesentlich gilt.
Mir scheint also, dass diese Kritiken an der Folgerichtigkeit der Logik Hegels scheitern. Wenn sie aber auch richtig wären, würde das System der Logik selbst noch nicht in seinem Allgemeinheit von ihnen getroffen. Hegel selbst hat verschiedene Darstellungen der logischen Entwicklung ausgearbeitet und gibt zu, dass sie nicht durchgängig richtig sein könnten. Wenn die Kritik sich nicht gegen das Ganze des Systems wendet, sollte sie die Aufgabe übernehmen, die kritisierte Ableitung zu verbessern, und sie kann nicht beanspruchen, dadurch das System zusammenbrechen zu lassen, dass sie ein Detail widerlegt. Denn, wenn die allgemeine zugrunde liegende Anschauung richtig ist, sollte es eine richtige Ableitung geben.
Meines Erachtens besteht das Problem der Hegelschen Philosophie eben darin, dass  die These der Aufhebung des Bewusstseinsgegensatzes – die als Ergebnis der Phänomenologie des Geistes zu gewinnen wäre – unbeweisbar ist. Dass das Denken das Absolute erfassen kann, kann meiner Auffassung nach nie beweisen werden und bleibt also ein Postulat. Denn nur auf Grund eines solchen Postulat können die verwendeten Begriffen überhaupt eine Bedeutung zugeschrieben werden; nur auf dieser Basis kann die Identität des Denkens und der Realität gedacht werden. Ohne das Postulat wäre nicht garantiert, dass die logische Entfaltung des Denkens der Realität entspricht und dass sie nicht in eine leere Spekulation verfällt.
Aber auch die Ungültigkeit dieses Postulats kann nicht beweisen werden, denn sie ist gleichermaßen eine Behauptung über das Ganze, und jede solche Behauptung bedürfte eines unmöglichen Hinausgehens über das Ganze, um beweisen werden zu können. Eben deshalb versucht Hegel, das Ganze in seiner innerlichen Notwendigkeit zu erklären und es als Resultat (statt als Voraussetzung) zu erweisen; dennoch bleibt es meines Erachtens ein Postulat, dass es überhaupt ein denkbares Ganze gibt.
Eine philosophische Wissenschaft im Hegelschen Sinne, nämlich ein voraussetzungsloses Wissen, ist also unmöglich, was aber nicht das Ende der Metaphysik überhaupt bedeutet. Sie muss aber ihre eigene Voraussetzungen erkennen, die immer irgendeinen Glauben erfordern.



Literaturverzeichnis


Aristoteles, Meth = Metaphysik, Georg Reimer Verlag, Berlin 1890.
Bitsch, Brigitte, 1977, Sollensbegriff und Moralitätskritik bei G. W. F. Hegel, Bouvier Verlag Herbert Grundmann, Bonn.
Fichte, Johann G., Die Anweisung zum seligen Leben, Felix Meiner Verlag, Hamburg 1983.
–, Die Bestimmung des Menschen, Felix Meiner Verlag, Hamburg 1979.
Johnson, Paul O., 1988, The Critique of Thought. A re-examination of Hegel’s Science of Logic, Avebury, Aldershot.
Hegel, Georg W. Friedrich, E = Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830), in ders., Gesammelte Werke, Felix Meiner Verlag, Hamburg 1992, Bd. 20.
–, Phän = Phänomenologie des Geistes, in ders., Gesammelte Werke, Felix Meiner Verlag, Hamburg 1980, Bd. 9.
–, WL = Wissenschaft der Logik, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 201410.
Heidegger, Martin, SuZ = Sein und Zeit, Niemeyer Verlag, Tübingen 196310.
Kant, Immanuel, KrV = Kritik der reinen Vernunft, in ders., Werke, Wissenschaftliche Buchgellschaft, Darmstadt 1968, Bde 3-4.
Rinaldi, Giacomo, 1992, A History and Interpretation of the Logic of Hegel, The Edwin Mellen Press, Lewiston.
Schmidt, Josef, 1977, Hegels Wissenschaft der Logik und ihre Kritik durch Adolf Trendelenburg, Johannes Berchmans Verlag, München.
Taylor, Charles, 1975, Hegel, Cambridge University Press, Cambridge (Mass.).
Theunissen, Michael, 1980, Sein und Schein. Die kritische Funktion der Hegelschen Logik, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M.
Trendelenburg, Friedrich A., LU = Logische Untersuchungen, Verlag von S. Hirzel, Leipzig 18703, 2 Bde.


[1] E = Enzykopädie der philosophischen Wissenschaften. Die verwendete Ausgabe der mit einer Abkürzung zitierten Werken ist im Literaturverzeichnis gezeigt.
[2] Ich verstehe das Verfahren der Logik so: jede Kategorie, die aus der Aufhebung eines Widerspruchs entsteht, ermöglicht es, die vorhergehenden widersprüchlichen Kategorien zu denken.
[3] Um die Bedeutung dieses Wortes im Unterschied zu Bestimmtheit zu verstehen, kann man an Die Bestimmung des Menschen Fichtes denken.
[4] Eine ähnliche Idee befindet sich in Heidegger SuZ: §§ 15-18. Vgl. aber auch Aristoteles Met: Θ.
[5] Dieses Beispiel ist von Johnson 1998: 24 herausgezogen: »the determination of the constitution of the thing from outside is conditioned by the determination of the thing; a rational being reacts in different ways to outside influences from a non-rational one«.
[6] Das Etwas soll seine Bestimmung erfüllen: die zwei Kategorien sind also bisher gleichgültig. Vgl. WL: 133.
[7] Vgl. WL: 144. Erst da sind die zwei Kategorien getrennt, indem das Etwas zwar seine Bestimmung erfüllen soll, aber ebendeshalb, weil es soll, kann dies letztlich nicht.
[8] Vgl. Bitsch 1977: 13 ff.
[9] Er präzisiert dies dahingehend, dass es »das Unendliche des Verstandes« ist.
[10] Aristoteles meint natürlich das Verhältnis zwischen der Diagonale und der Seite eines Quadrates.
[11] Vgl. WL: 395: »Alles, was da ist, hat ein Maß. Alles Dasein hat eine Größe […]«.
[12] Obwohl die Rede hier von der Zahl ist, muss man nicht an die quantitative Unendlichkeit denken. Das Beispiel sollte nur eine unendliche (bestimmte und qualitative) Aufgabe darstellen, was die Messung der Diagonale tatsächlich ist. Der Unterschied zwischen der qualitativen und quantitativen Unendlichkeit ist sowieso nicht so groß. Die schlechte Unendlichkeit ist zwar einmal qualitativ, als Aufeinanderfolge von endlichen (qualitativen) Dasein, einmal quantitativ, als Reihenfolge von Zahlen, die, qualitativ betrachtet, gleichgültig sind; aber die wahrhafte Unendlichkeit ist immer ein qualitatives Verhältnis zwischen Endlichem und Unendlichem (vgl. Rinaldi 1992: 170). Ein mathematisches Beispiel dafür kann die Formel d = √2 s sein, insofern sie der »endliche Ausdruck« einer unendlichen Reihe ist; sie »enthält den Wert, den die Reihe nur sucht, vollständig« (WL: 289). Außerdem ist die quantitative schlechte Unendlichkeit, genau wie die qualitative, als Sollen gekennzeichnet: »Die unendliche Reihe enthält nämlich die schlechte Unendlichkeit, weil das, was die Reihe ausdrücken soll, ein Sollen bleibt, und was sie ausdrückt, mit einem Jenseits, das nicht verschwindet, behaftet und verschieden von dem ist, was ausgedrückt werden soll« (ebd.). Vgl. dagegen die „schlechte“ Definition der Unendlichkeit, die man in der Kritik der reinen Vernunft findet: »Der wahre (transcendentale) Begriff der Unendlichkeit ist, dass die successive Synthesis der Einheit in Durchmessung eines Quantum niemals vollendet sein kann« (KrV: B 459).
[13] Sehr deutlich ist in dieser Hinsicht die Erste Vorlesung der Anweisung zum Seligen Leben (s. das Literaturverzeichnis).
[14] Vgl. Rinaldi 1992: 46 ff.
[15] Das Schlecht-Unendliche nämlich; vgl. die 12. Anmerkung.
[16] Deswegen habe ich oben zwischen »selbstunterscheidend« und »selbstunterschieden« differenziert.
[17] Das ist meine Übersetzung des von Taylor verwendeten Ausdrucks »self-subsistent whole«. Meine Darstellung in diesem Abschnitt liegt nah zu seinem. Vgl. Taylor 1975: 241.
[18] Vgl. Aristoteles, Meth. Θ, VI, 1048a.
[19] Diese überzeugende Auslesung Taylors kann hier nicht ausführlich dargestellt werden. Sei genug zu bemerken, dass das »infinite life«, über das er hier redet, das Leben eines »self-positing Spirit [Geist]« sei. Vgl. a. a. O.: 76 ff.
[20] Von nun an werde ich in Klammern nur die Seiten dieses Werkes angeben (außer wo anders gezeigt).
[21] »das unmittelbare Sein des Unendlichen erweckt das Sein seiner Negation, des Endlichen wieder, das zunächst im Unendlichen verschwunden schien« (WL: 151).
[22] LU = Logische Untersuchungen (s. das Literaturverzeichnis). Ich ziehe das Zitat von Schmidt 1977: 124; vgl. die Argumentation in Theunissen 1980: 295.